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[Rezension] Brackwasser von Jana Stieler

Montag, 15. September 2025



Julias Verschwinden blieb ein Rätsel, aber sie war nicht wirklich fort. Sie verfolgte mich beharrlich. Julia war immer da, wie die Grundierung auf einer Leinwand, die alle Farben darauf beeinflusst, auch wenn man sie nicht bewusst wahrnimmt.
– aus: Brackwasser von Jana Stieler, Seite 35 [Textrechte: Limes]

Das verspricht der Klappentext: Zwei entfremdete Schwestern. Ein Grab im Wald. Und ein Geheimnis, das auch nach Jahrzehnten noch tödlich ist…
Vor über zwanzig Jahren hatte Svea sich geschworen, nie wieder in die Heimat zurückzukehren. Nach einem Sommerfest verschwand Sveas beste Freundin ohne jede Spur. Aber nun wurde ihre Leiche gefunden, tief im Wald versteckt. Für Svea steht der Schuldige fest: ihr Schwager, der damals mit ihrer Freundin zusammen war. Keiner kennt die Wälder an der Schlei so gut wie er. Svea will ihre Schwester Fenja und deren Kinder mit allen Mitteln vor dem überzeugten Prepper schützen. Doch Fenja misstraut ihr zutiefst – und Svea kann ihr nicht sagen, was in jener Nacht wirklich geschah… [Textrechte: Limes, Penguin Random House]


Doch ich gebe mich längst nicht mehr der Illusion hin, das Wissen würde den Schmerz lindern. Wissen ist Macht, so behauptet man, aber Trost habe ich darin nie gefunden.
– aus: Brackwasser von Jana Stieler, Seite 325

Persönlicher Leseeindruck: Mit Brackwasser wagt sich die Autorin Jana Stieler erstmals in Thriller-Gefilde und erweist dem Genre, in dem sie sich lesbar wohlfühlt, ab Seite 1 alle Ehre.

Auf verschiedenen Zeitebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven entfaltet sich die Geschichte der Hinterbliebenden von Julia, die vor über zwanzig Jahren – auf bisher ungeklärte Weise – tot im salzigen Wasser der Schlei aufgefunden wurde.

Für ihre Familie, für ihren Partner, für ihre beste Freundin Svea ist seither nichts mehr, wie es einmal war: Schuldzuweisungen, verdrängte Wahrheiten und lang gehegte Verdachte vergiften das Leben aller, die Julia zurückließ. Und so werden sie auch Jahre nach der Tragödie Nacht für Nacht von der gnadenlosen Frage verfolgt: „Wer hat Julia ermordet?“ Als Svea nach dem Tod ihres Onkels in die Heimat ihrer Kindheit zurückkehrt, tritt sie damit Ereignisse los, die sie nicht nur in höchste Gefahr bringen, sondern auch der Antwort auf diese Frage näher und näher und näher …

Die gekonnte Verflechtung verschiedener Handlungsstränge lässt viele der Figuren, die allesamt keine blütenreine Weste und mehr oder minder viel auf dem Kerbholz haben, ins Zentrum des Verdachts rücken: Da ist etwa Erik, der gewalttätige Jugendfreund von Julia, der einer rechtsextremen Prepper-Gemeinde angehört, Sveas Onkel, nach dessen Tod Verstörendes zu Tage kommt, der charmante Till, der schon als Jugendlicher vergeblich für ein Mädchen schwärmte … und nicht zuletzt Svea selbst, die sich zunehmend selbst misstraut.




Der Roman wartet mit so manchem Schocker auf, kommt dabei jedoch weitgehend ohne Splatter aus und punktet vielmehr durch subtil platzierte Spannungs- und Verdachtsmomente, psychologische Tiefe und sich stetig steigernden Nervenkitzel.

Durch häufige Perspektivwechsel und Rückblenden entsteht eine spannende Dynamik, die das Gefühl vermittelt, als Leser direkt in ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel hineingezogen zu werden.

Das atmosphärisch geschilderte Setting an der Meeresbucht der Schlei, das sich mal als pittoreskes Idyll, mal als schauderhafter Albtraumort präsentiert, transportiert die Zerrissenheit der Figuren und verstärkt die Stimmung allgegenwärtiger Bedrohung meisterhaft.

Auch wenn sich das Ende von Brackwasser für mich zunächst nicht vollkommen stimmig anfühlte, muss ich sagen, dass die Auflösung wirklich ausgeklügelt und vollkommen unvorhersehbar ist. Für meinen Geschmack hätte dieser Thriller auch ruhig noch 100 Seiten mehr auf die Waage bringen können; gerne wäre ich noch viel tiefer in die einzelnen Handlungsstränge und Lebenswelten der Protagonist:innen abgetaucht. 


Es hätte mir eine Warnung sein sollen, wie oft ich mir neben ihm wie Cinderella vorkam, wo ich doch viel lieber barfuß als in Glasschuhen laufe.
– aus: Brackwasser von Jana Stieler, Seite 56 [Textrechte: Limes]

Fazit: What a ride! Brackwasser ist ein spannender Whodunnit, der ohne klassische Detektivfigur auskommt, es aber schafft, im Laufe der Erzählung alles und jeden verdächtig erscheinen zu lassen und den Leser so bis zur letzten Seite miträtseln lässt. Brackwasser bietet mitreißenden Thrill mit Pageturner-Qualität und Lokalkolorit.

Ein herzliches Dankeschön an Jana Stieler, lovelybooks.de und den LIMES Verlag für das Rezensionsexemplar, das mir zur Verfügung gestellt wurde.

Brackwasser von Jana Stieler

Paperback/Klappenbroschur, 368 Seiten | Limes Verlag | ISBN 978-3-8090-2792-8

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