
Er weinte, wie er es nicht gekonnt hatte, als er sich von seiner Familie verabschiedete. Die verdammte Würde hatte ihn daran gehindert. Die Würde war nutzlos.Waldinneres von Mónica Subietas, Seite 34
Als junger Mensch bist du dir der Folgen deines Handelns nicht bewusst. Du weißt noch nicht, dass deine Geschichte die Summe deines Denkens und Handelns ist.Waldinneres von Mónica Subietas, Seite 34
Waldinneres von Mónica Subietas erzählt die Geschichte des
– titelgebenden – Gemäldes „Waldinneres“ von Gustav Klimt; oder vielmehr
die Geschichte seiner glücklosen Besitzer.
Mit Gottfried Messmer trifft man auf einen von
Schicksalsschlägen gebeutelten Protagonisten, der einem trotz aller Hürden und
Grausamkeiten, die ihm das Leben beschert, als beinahe unheimlich unbekümmerter
Charakter, als jedermanns Freund vorgestellt wird – und für den sich dennoch
erstaunlicherweise keine echte Sympathie einstellen will. Auch die anderen
Figuren bleiben merkwürdig blass, sodass einem das Erzählte trotz seiner
Brisanz kaum nahe geht.
Die Geschichte entfaltet sich auf zwei Zeitebenen – einmal beginnend
im Jahr 1942, einmal 2009 – und zeigt so auf (oder versucht es zumindest), wie
Nazi-Gräuel zu generationenübergreifendem Leid und vererbter Schuld führten. In
Gestalt der Kinder und Kindeskinder (vermeintlicher) Täter und Opfer werden im
Rahmen einer (zu vorhersehbaren) Kriminalhandlung Themen wie Wiedergutmachung
und Vergeltung verhandelt.
Doch trotz der sorgfältigen Recherche der Autorin streift Waldinneres die wirklich interessanten, großen Themen nur sacht – fast schon fahrlässig
marginalisiert werden sie, anstatt sie mutig anzupacken. Gestohlene Leben und
geraubte Kunst, tradierte Schuld, vererbte Traumata, der Preis von Zivilcourage
und Gier, die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges: Aus meiner
Sicht wurde hier eine große Chance vertan, sich in den wichtigen Fragen festzubeißen,
dort nachzubohren, wo es wehtut und Einblicke zu gewähren in bewegende, oft
übersehene Aspekte der Geschichte.
Die nüchterne, schlichte Sprache, die kurzen Kapitel und
nicht zuletzt die Perspektivwechsel machen den Roman zu einer „süffigen“ Lektüre.
Man rauscht durch die Seiten, hat aber selten bei einem Satz das Bedürfnis,
innehalten zu wollen, um ihn sich nochmals auf der Zunge zergehen zu lassen.
Gottfried bevorzugte italienische Kaffeemaschinen, weil sie ihn an Gloria erinnerten, seine erste Frau. Sie hatte ihm beigebracht, aus dem Kaffeesatz zu lesen, der in der Tasse zurückblieb. Julias Kapseln hinterließen kaum Kaffeesatz, und ohne Kaffeesatz gab es keine Zukunft, die man lesen konnte. „So weit ist es durch diese Kapseln gekommen. Es gibt keine Zukunft mehr.“ Er lachte über seine eigene Übertreibung. „Oder eine Zukunft voller Müll.“Waldinneres von Mónica Subietas, Seite 20
Der nationalsozialistische Kunstraub bleibt leider eher eine
blasse Folie, vor welcher sich eine unterhaltsame, wenn auch bis zuletzt profan
bleibende Kriminalgeschichte entspinnt, anstatt als Handlungsmotor oder
Ausgangspunkt für ein tieferes Eintauchen in unbequeme, aber beleuchtungswürdige
Aspekte des Menschseins und der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu dienen.
Waldinneres von Mónica Subietas
Originaltitel: El bosque en silencio | Übersetzung: Aus dem Spanischen übersetzt von Lisa Grüneisen | Gebundene Ausgabe, 256 Seiten | S. Fischer Verlag | ISBN 978-3-10-397083-8