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[Rezension] Waldinneres von Mónica Subietas

Donnerstag, 21. August 2025

Waldinneres von M. Subietas, Rezension auf www.nanawhatelse.at
    
Er weinte, wie er es nicht gekonnt hatte, als er sich von seiner Familie verabschiedete. Die verdammte Würde hatte ihn daran gehindert. Die Würde war nutzlos.
Waldinneres von Mónica Subietas, Seite 34

 
Das verspricht der Klappentext: Eine Flucht vor den Nazis und ein Geheimnis, das bis in die Gegenwart reicht.

Ein jüdischer Kunstsammler rettet sich mit Fluchthelfern vor den Nazis in die Schweiz, doch seine Spur verliert sich im Dickicht eines Waldes. Zurück bleibt nur sein Gehstock, darin eingerollt ein kleines Gemälde.
Siebzig Jahre später betritt Gottfried Messmer das Foyer einer Bank in Zürich. Im Schließfach seines Vaters findet er einen echten Klimt. Wie kam sein Vater an dieses Bild? Und wo ist sein wahrer Besitzer? Gottfried muss sich einem Familiengeheimnis stellen, das weit in die Geschichte seines Landes zurückreicht.

Mónica Subietas‘ bewegender Roman „Waldinneres“ erzählt von Liebe, Freundschaft und Verrat, von finsteren Zeiten und glücklichen Tagen. [Textrechte: S. Fischer Verlag]

Als junger Mensch bist du dir der Folgen deines Handelns nicht bewusst. Du weißt noch nicht, dass deine Geschichte die Summe deines Denkens und Handelns ist.
Waldinneres von Mónica Subietas, Seite 34

 
Mein persönlicher Eindruck: Ein historischer Roman, der im (österreichischen) Kunstmilieu angesiedelt ist und sowohl Kriminal- als auch Generationengeschichte in sich vereint? Klingt wie für mich geschrieben. Doch leider konnte ich mit Waldinneres nur an der Oberfläche einer Geschichte entlangspazieren, in die ich eigentlich gerne viel tiefer eingetaucht wäre.

Waldinneres von Mónica Subietas erzählt die Geschichte des – titelgebenden – Gemäldes „Waldinneres“ von Gustav Klimt; oder vielmehr die Geschichte seiner glücklosen Besitzer.

Mit Gottfried Messmer trifft man auf einen von Schicksalsschlägen gebeutelten Protagonisten, der einem trotz aller Hürden und Grausamkeiten, die ihm das Leben beschert, als beinahe unheimlich unbekümmerter Charakter, als jedermanns Freund vorgestellt wird – und für den sich dennoch erstaunlicherweise keine echte Sympathie einstellen will. Auch die anderen Figuren bleiben merkwürdig blass, sodass einem das Erzählte trotz seiner Brisanz kaum nahe geht.

Die Geschichte entfaltet sich auf zwei Zeitebenen – einmal beginnend im Jahr 1942, einmal 2009 – und zeigt so auf (oder versucht es zumindest), wie Nazi-Gräuel zu generationenübergreifendem Leid und vererbter Schuld führten. In Gestalt der Kinder und Kindeskinder (vermeintlicher) Täter und Opfer werden im Rahmen einer (zu vorhersehbaren) Kriminalhandlung Themen wie Wiedergutmachung und Vergeltung verhandelt.

Doch trotz der sorgfältigen Recherche der Autorin streift Waldinneres die wirklich interessanten, großen Themen nur sacht – fast schon fahrlässig marginalisiert werden sie, anstatt sie mutig anzupacken. Gestohlene Leben und geraubte Kunst, tradierte Schuld, vererbte Traumata, der Preis von Zivilcourage und Gier, die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges: Aus meiner Sicht wurde hier eine große Chance vertan, sich in den wichtigen Fragen festzubeißen, dort nachzubohren, wo es wehtut und Einblicke zu gewähren in bewegende, oft übersehene Aspekte der Geschichte.

Die nüchterne, schlichte Sprache, die kurzen Kapitel und nicht zuletzt die Perspektivwechsel machen den Roman zu einer „süffigen“ Lektüre. Man rauscht durch die Seiten, hat aber selten bei einem Satz das Bedürfnis, innehalten zu wollen, um ihn sich nochmals auf der Zunge zergehen zu lassen.

Gottfried bevorzugte italienische Kaffeemaschinen, weil sie ihn an Gloria erinnerten, seine erste Frau. Sie hatte ihm beigebracht, aus dem Kaffeesatz zu lesen, der in der Tasse zurückblieb. Julias Kapseln hinterließen kaum Kaffeesatz, und ohne Kaffeesatz gab es keine Zukunft, die man lesen konnte. „So weit ist es durch diese Kapseln gekommen. Es gibt keine Zukunft mehr.“ Er lachte über seine eigene Übertreibung. „Oder eine Zukunft voller Müll.“
Waldinneres von Mónica Subietas, Seite 20

 
Fazit: Obwohl durch Zeitsprünge und geschickte Vernetzungen eine durchaus spannende Handlungsdynamik entsteht und Waldinneres kurzweilige Lektüre bietet, bleibt der Gesamteindruck farblos. Zu seicht sind die Figuren, zu konstruiert wirkt das Netz, das sich von den 40ern bis in die Jetztzeit spinnt, und in dem sich beinahe alle Figuren letztlich verfangen, zu wenig Raum wird der Historie und ihrer Aufarbeitung eingeräumt.

Der nationalsozialistische Kunstraub bleibt leider eher eine blasse Folie, vor welcher sich eine unterhaltsame, wenn auch bis zuletzt profan bleibende Kriminalgeschichte entspinnt, anstatt als Handlungsmotor oder Ausgangspunkt für ein tieferes Eintauchen in unbequeme, aber beleuchtungswürdige Aspekte des Menschseins und der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu dienen.

 


Waldinneres von Mónica Subietas

Originaltitel: El bosque en silencio | Übersetzung: Aus dem Spanischen übersetzt von Lisa Grüneisen | Gebundene Ausgabe, 256 Seiten | S. Fischer Verlag | ISBN 978-3-10-397083-8