„Manchmal gingen wir zu dritt zum Bowling oder zum Karaoke, und allmählich hatte ich das Gefühl, genauso blöd zu werden wie sie – und es auf eigenartige Weise auch noch zu genießen. Vielleicht, sagte ich mir, wäre es sogar ein Glück, nichts weiter zu sein als ein Mitglied dieser Familie von Dummköpfen.“Aus: Geständnisse von Kanae Minato, Seite 214
Das verrät der Klappentext: Die vierjährige Manami ist im Schulschwimmbecken ertrunken. Die Polizei hält es für einen tragischen Unfall, doch ihre Mutter Yūko, Lehrerin an der Schule, weiß, dass zwei ihrer Schüler für Manamis Tod verantwortlich sind, und sie will die Mörder nicht ungeschoren davonkommen lassen. Am Tag vor den Ferien eröffnet sie ihrer Klasse, dass sie ihnen noch eine letzte Lektion erteilen will … Doch der perfide ausgeheckte Racheplan entgleitet ihrer Kontrolle – und sie setzt ein tödliches Drama in Gang, aus dem niemand unbeschadet entkommen wird. [Textrecht: Penguin Verlag]
„Eine in die Enge getriebene Ratte beißt die Katze, und in ganz Japan gab es Idioten, die unvorstellbare Dinge taten, nur weil jemand sie bis zur Weißglut gereizt hatte. Es war meine eigene Schuld. Ich hatte mich einen Moment von meinen Gefühlen verleiten lassen und diesen Idioten provoziert.“Aus: Geständnisse von Kanae Minato, Seite 237
Mein persönlicher Eindruck: In sechs Kapiteln, die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden, entspinnt sich eine facettenreiche Rachegeschichte, die mit subtilen Fingern nach den Finsternissen und Abgründen des Mensch-Seins greift.
Die kleine Manami ist tot. Ertrunken im Schwimmbecken jener Schule, in der ihre alleinerziehende Mutter, Yūko Moriguchi, unterrichtet. Der tragische Unfalltod der Vierjährigen und die Aneinanderreihung scheinbar unglücklicher Zufälle, die dazu führte, erschüttert die ganze Schule. Als Yūko wenige Monate später verkündet, den Lehrberuf aufzugeben und die Schule zu verlassen, macht sie dies mit einem großen Knall. In ihrer Abschiedsrede lässt sie ihre Schüler:innen wissen, dass Manamis Tod keineswegs ein Unfall war und ihre Tochter vielmehr zum Opfer der Grausamkeiten zweier Schüler wurde. Zugleich stellt sie auf verstörend sachliche Weise klar, dass dafür gesorgt würde, dass die Verantwortlichen ihre gerechte Strafe erhalten.
„Ich verbringe den ganzen Tag damit, an die Wand zu starren. Ich weiß nicht, wie spät es ist, welchen Tag wir haben. Ich kann das Essen nicht mehr schmecken. Ich fürchte mich vor dem Tod, aber ich habe gar nicht mehr das Gefühl zu leben.“Aus: Geständnisse von Kanae Minato, Seite 194
Von da an beobachtet und fühlt man als Leser:in, wie das Unglück sich wellenförmig ausbreitet. Um sich greift. Die Grenzen zwischen Schuld und Unschuld, Recht und Gerechtigkeit verschwimmen lässt. Wie der Schrei nach Lynchjustiz laut, moralische Bedenken immer kleiner werden.
Man glaubt sich in einer Geschichte wiederzufinden, die an „Die Welle“ erinnert, welche mit unvorhersehbaren Twists dann doch in vollkommen andere Bahnen gelenkt wird.
Geständnisse erzählt von Verlust und einer außer Kontrolle geratenen Vendetta, streift dabei jedoch viele brisante gesellschaftliche Themen, welche die Beklemmung beim Lesen nur erhöhen: Die alltägliche Hatz der japanischen Leistungsgesellschaft, die vernichtende Geringschätzung von Mittelmäßigkeit, häusliche Gewalt, Außenseitertum, die Stigmatisierung von Krankheiten, Erkrankten und Alleinerziehenden.
Der sachliche Ton steht in krassem Gegensatz zu den emotionalen Tiefen, die die Figuren durchleben, zur zermürbenden Gewalt, die sie erfahren. Da die Geschehnisse durch die Augen verschiedener Figuren erlebt und somit aus unterschiedlichen Blickwinkeln berichtet werden, gewinnt die Erzählung einerseits an Facettenreichtum durch ihren multiperspektivischen Charakter, büßt durch das repetitive Moment jedoch auch an Spannung ein.
Fazit: Kanae Minatos Geständnisse ist ein außergewöhnlicher Racheroman, der nicht nur tief in die menschliche Seele, sondern auch in die zeitgenössische Kultur und Gesellschaft Japans blicken lässt. Dabei wird so manches Mal etwas dick aufgetragen, was dem Lesevergnügen jedoch keinen Abbruch tut.