… die Hölle, das sind die anderen.Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seite 59
Das sagt der Verlag: Geschlossene Gesellschaft: Drei
Personen, die im Leben einander nie begegnet sind, werden nach ihrem Tod für
alle Ewigkeit in einem Hotelzimmer zusammen sein. Das ist die Hölle.
Aufmachen! Aufmachen! Ich nehme alles hin: Beinschrauben, Zangen, flüssiges Blei, Halseisen, alles, was brennt, alles, was quält, ich will richtig leiden. Lieber hundert Stiche, lieber Peitsche, Vitriol als dieses abstrakte Leiden, dieses Schattenleiden, das einen streift, das einen streichelt und das niemals richtig weh tut.Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seiten 54-55
Persönlicher Leseeindruck: L’enfer, c’est les autres.
Die Hölle, das sind die anderen. Auch, wenn ich mir als Agnostikerin mit
Tendenz zu Wurschtigkeit/Frust gegenüber religiösen Themen nicht viele Gedanken
darüber mache, was auf uns zukommt, wenn wir erstmal über die Regenbogenbrücke
gegangen sind, den Löffel abgegeben, das Zeitliche gesegnet, ins Gras gebissen
und schlussendlich die Radieschen von unten betrachtet haben, hat den nie-müden
Ungustl in mir dieses Zitat immer auf verdrehte Weise angesprochen. Als
Österreicher/in bekommt man das misanthrope Grantler-Gen ja praktisch frei Haus
mitgeliefert und deshalb schien’s – nachdem mir diese eine Zeile immer wieder in
der Zeitung, in Podcasts, Träumen und dem Kaffeesatz unterkam und ich mich irgendwann
beim Sehen der Nachrichten dabei erwischt habe, wie ich sie passiv-aggressiv
wie ein Mantra vor mich hinmurmelte – quasi meine heilige Pflicht zu sein, den
Text, aus dem diese weisen Worte stammen, mal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Scherz beiseite. Ich wollte mich schon seit Ewigkeiten etwas
genauer mit Sartre befassen und wann ließe sich ein Text mit dem Titel „Geschlossene
Gesellschaft“ wohl besser lesen als während einer globalen Quarantäne?
Wir nämlich machen die Augenlider auf und zu. Zwinkern nannte man das. Ein kleiner schwarzer Blitz, Vorhang zu, Vorhang auf: Das war die Unterbrechung. Das Auge wird feucht, die Welt verschwindet. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie erholsam das war. Viertausend Pausen in einer Stunde. Viertausend kleine Fluchten.Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seiten 13-14
Das Stück kommt erwartungsgemäß mit sehr überschaubarem Personal
aus: Inés, Estelle und Garcin sind die verblichenen ProtagonistInnen, die nach
und nach von einem höflich-distanzierten Kellner in das Hotelzimmer geführt
werden, welches die wiederum recht kleine, aber außergewöhnliche Bühne für die
gesamte Handlung darstellt.
Kurz, es fehlt hier jemand: der Folterknecht.Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seite 28
Ein fensterloser Raum, drei verschiedenfarbige Sofas – hellblau,
spinatgrün und bordeauxrot, eine Büste, keine Spiegel, eine verschlossene Tür
samt Klingel, die nicht funktioniert. Das Zimmer enthält praktisch nichts, was
Zerstreuung bieten könnte. Wie trostlos und qualvoll eine Ewigkeit in solch
kargem Umfeld ist, geht den drei Verdammten jedoch nicht gleich auf: Denn
zunächst warten sie noch getrieben und verzweifelt auf das Erscheinen eines
Folterknechts. Den jedoch scheint es nicht zu geben; Inès, Estelle und Garcin
sind einander fortan die einzige Gesellschaft und langsam kommt die höllische Ménage-à-trois
zu der Erkenntnis:
Die Hölle, das sind die anderen. Nicht, wegen der
Gräueltaten, die sie begehen oder weil das ewige Aufeinanderhocken, von dem es
kein Entrinnen gibt, irgendwann unerträglich wird. Sondern deshalb, weil wir
uns nur erkennen, wenn andere Augen uns sehen. Das Bild, das andere von uns
haben, ist der Rahmen, in dem wir unser Leben leben und erleiden, ein Gefängnis
zu Lebzeiten und danach.
Man stirbt immer zu früh – oder zu spät. Und nun liegt das Leben da, abgeschlossen; der Strich ist gezogen, fehlt nur noch die Summe. Du bist nichts andres als dein Leben.Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seite 57
Ist man, wenn man von anderen nicht wahrgenommen wird? Kann
man etwas anderes sein, als das, was die anderen in einem sehen?
Besonders schön finde ich, dass in der Rowohlt Ausgabe das gesprochene
Vorwort zur Schallplattenaufnahme abgedruckt ist, in der Sartre mit Missinterpretationen
aufräumt: „Man glaubte, ich wolle damit sagen, dass unsere Beziehungen zu
andren immer vergiftet sind, dass es immer teuflische Beziehungen sind. Es ist
aber etwas ganz anderes, was ich sagen will. Ich will sagen, wenn die
Beziehungen zu andern verquer, vertrackt sind, dann kann der andre nur die
Hölle sein. Warum? Weil die andren im Grunde das Wichtigste in uns selbst sind
für unsere eigene Kenntnis von uns selbst. Wenn wir über uns nachdenken, wenn
wir versuchen, uns zu erkennen, benutzen wir im Grunde Kenntnisse, die die
andern über uns schon haben. Wir beurteilen uns mit den Mitteln, die die andern
haben, uns zu unserer Beurteilung gegeben haben. Was ich auch über mich sage,
immer spielt das Urteil anderer hinein. Was ich auch in mir fühle, das Urteil
andrer spielt hinein, Das bedeutet, wenn meine Beziehungen schlecht sind,
begebe ich mich in die totale Abhängigkeit von andren. Und dann bin ich
tatsächlich in der Hölle.“ (Seite 61)
Wir sind in der Hölle, meine Kleine, es kommt nie ein Versehen vor,und die Leute werden niemals für nichts verdammt.Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seite 27
Fazit: Wir sehen in uns, was andere uns sehen lassen. Jean-Paul
Sartres Stück ist ein kurzweiliges und intensives Lesevergnügen mit viel
Tiefgang und einer Botschaft, die nie aktueller war als heute.
Geschlossene
Gesellschaft von Jean Paul Sartre. Stück in einem Akt.
Originaltitel: Huis
clos | Übersetzung: Traugott König | Taschenbuch, 75
Seiten
Rowohlt Taschenbuch | ISBN: 978-3-499-15769-1