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[Rezension] Die Herrenausstatterin von Mariana Leky

Sonntag, 11. März 2018

Die Herrenausstatterin von Mariana Leky Rezension www.nanawhatelse.at

Es ist ganz und gar normal und ganz und gar ungeheuerlich, dass man immer ahnungslos ist, wenn solche Sachen ihren Anfang nehmen. Nie hat man bei ihrem Losgehen eine Ahnung von ihrem Ausmaß und ihrer Wucht oder davon, was warum und wie lange schön oder schmerzhaft sein wird.
Aus: Die Herrenausstatterin von Mariana Leky, Seiten 10-11. Textrechte: Dumont.

Klappentext: Katja Wiesberg verschwimmt die Welt vor Augen. Ihr Mann ist fort, sie ist ihren Job los und allein. Da sitzt auf einmal ein Herr auf dem Rand ihrer Badewanne. Und noch ein Fremder taucht auf: ein Feuerwehrmann, der behauptet, zu einem Brand gerufen worden zu sein. Mit entwaffnender Zutraulichkeit nisten die beiden sich in Katjas Leben ein, und eine abenteuerlicher Dreiecksgeschichte nimmt ihren Lauf …


Bis später“, sagte Jakob, und dann starb er.
Aus: Die Herrenausstatterin von Mariana Leky, Seite 40. Textrechte: Dumont.

Rezension: Wie gut kennen wir die Menschen, die wir von Herzen lieben? Wie soll einem nicht schwindlig werden, wenn sich die eigenen Gedanken im Kreise drehen? Gehen Porzellan-Flamingos prinzipiell nur dann kaputt, wenn man nicht hinguckt?

Mit diesen Fragen hadert die Protagonistin Katja Wiesberg, während sie krampfhaft versucht (nicht zu versuchen), wieder ins Leben zu stolpern, nachdem alle Anker und Gewissheiten sich erdrutschartig in Nichts aufgelöst haben. Von einem Tag auf den anderen Tag einfach nicht mehr da sind. Bis auch Katja selbst beinahe verschwindet. Was sie davon abhält? Hochkalorische Trinknahrung aus der Apotheke, der lebenskluge Geist ihres verstorbenen Nachbarn Dr. Blank und ein Feuerwehrmann, der feststellen muss, dass es in ihrer Wohnung zwar nicht brennt, es jedoch sehr wohl jemanden zu retten gilt.


Alles hätte gut und gern so weitergehen können, aber dann ist alles zerbrochen, was, wie Blank später sagte, ein sicheres Zeichen dafür ist, dass es eben nicht so habe weitergehen können, auch wenn ich das geglaubt hatte. Was man selber glaubt, ist, auch das sagte Blank später, manchmal unmaßgeblich in der Frage, ob etwas zerbrochen gehört oder nicht.
Aus: Die Herrenausstatterin von Mariana Leky, Seite 7. Textrechte: Dumont.

Katjas Geschichte ist eine Geschichte des vorsichtigen Glücklich-Seins, eine Geschichte der Trauer, die so pechschwarz und bodenlos ist, dass sie einen verrückt werden lässt, eine Geschichte des Los-Lassens und der Freundschaft.

Mariana Leky hat ein Gespür für die richtigen Worte, für diese schönen einfachen Worte, die auf Herz und Zunge zergehen wie Grapefruiteis im Sommer. Süß, bitter, erfrischend. Egal, wie viel man hat, es ist immer zu wenig, denn man kriegt nie genug davon.

Unumwunden, unzensiert und pointiert serviert uns die Protagonistin ihre Gedanken zu den größten Wahrheiten und Lügen des Lebens – zu Alltäglichkeiten, die so unfassbar gewichtig werden können, zu scheinbar großen Dingen, die bei genauer Betrachtung zu Ameisen schrumpfen.


Sex mit Jakob war zur Zeit seines Verschwindens wie eine Veranstaltung eines Bekannten gewesen, zu der nur wenige erscheinen, eigentlich niemand außer Freunden und Bekannten, die versuchen, während und nach der Veranstaltung besonders begeistert zu sein, um das Fehlen der anderen zu kaschieren, das man aber nicht oder nur sehr kurzfristig kaschieren kann, und spätestens, wenn der Bekannte hinterher über seine Veranstaltung nachdenkt, denkt er nicht mehr an die Freunde und Bekannten, die ihre Begeisterung betont haben, er denkt dann nur noch, dass eigentlich niemand da war.
Aus: Die Herrenausstatterin von Mariana Leky, Seite 122. Textrechte: Dumont.

Unheimlich schön, das ist der Roman „Die Herrenausstatterin“ von Mariana Leky und macht dabei beiden Attributen alle Ehre. Denn er ist schön und dabei beinahe unheimlich. Bezaubernd ist die lockerleichte, metaphernreiche Sprache, die einzigartige Bilder vorm inneren Auge des Lesers entstehen lässt. Die rhetorische Brillanz ist die große Stärke dieses Titels, dessen Sprache trotz eines Stilblütenmeeres zu keiner Zeit überladen oder gespreizt wirkt.

Beinahe unheimlich ist es, wie spielerisch und treffend die Sprache wirkt, mit der die Autorin die ganze Bandbreite menschlicher Irrungen und Wirrungen, emotionaler Höhenflüge und Abstürze, zwischenmenschlicher Beinahekatastrophen und Schicksalsfügungen, die Komik des Tragischen zu Papier bringt. 

Obwohl die Handlung einen fantastischen Strang hat und sie mehr als eine abstruse Sequenz aufweist, bietet sie Seite für Seite Anknüpfungspunkte an die eigene Lebenswelt. Auch, wenn man so gar nichts mit der Protagonistin gemein zu haben scheint, ihre verdrehte Denkweise nicht der eigenen entspricht und man selbst nie in vergleichbar chaotisch-verrückten Situationen gelandet ist, findet man in Katja eine Identifikationsfigur, die genau das fühlt und in Wortschlangensätze packt, was einem selbst auch immer wieder aufgestellte Nackenhärchen, einen Klumpen im Magen, durchwachte Nächte, Herzklopfen und verheult-rote Augen beschert. 


„Vermutlich nimmt es kein Ende“, sagte Blank dann, „vermutlich nimmt es kein Ende, solange Sie leben.“ […] „Aber es wird leiser“, sagte er. „Ich verspreche Ihnen, dass es leiser wird. Irgendwann ist es ungefähr so leise wie ein Lied, das ein Nachbar in der Wohnung nebenan hört.“
Aus: Die Herrenausstatterin von Mariana Leky, Seite 196. Textrechte: Dumont.

Persönliches Fazit: Ein fiktionaler Roman, der so eindrücklich vom wahren Leben erzählt, kann nur ein Meisterwerk sein. So schön, dass man heulen möchte. Und es auch tut.







Autorin: Mariana Leky
Titel: Die Herrenausstatterin
Einband: Taschenbuch
Verlag: Dumont
Seitenanzahl: 208
ISBN: 978-3-8321-6165-1