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[Rezension] Über ein Mädchen von Joanne Horniman

Donnerstag, 29. August 2013

"Sie war wie ein Auto ohne Handbremse. Sie stand auf einem Hügel und war kurz davor hinunterzurollen, immer schneller zu werden und mit jemanden zusammenzustoßen. Sie war ein Unfall der darauf wartet, dass er passiert."
[Seiten 188-189] Zitatrecht © CARLSEN

Foto: Nana - What else?
© CARLSEN
Ein klein wenig zum Inhalt: Anna weiß seit ihrem sechsten Lebensjahr, dass sie Mädchen mag. Dass sie Mädchen mehr als nur mag. Und dass sie NUR Mädchen mag. Ihre Suche nach einer Seelenverwandten, einer Partnerin, einem toughen Mädchen, dem es gelingt Anna umzuhauen, erweist sich jedoch als schwierig. Und so wird auch Anna genau das: schwierig. Bis sie beschließt einen Neuanfang zu wagen und der kecken Flynn vor die Nase stolpert.

Idee: Meiner Meinung nach gibt es viel zu wenige (Jugend-)Bücher, die das Thema Homosexualität aufgreifen. Wir sind ja alle so aufgeschlossen (*augenroll*), aber wenn es um Händchen haltende Mädchen oder schmusende Jungs geht, stößt man an  unsichtbare (der Schein der Toleranz muss ja schließlich gewahrt werden), aber definitiv vorhandene Grenzen. Ich finde es unglaublich wichtig, gleichgeschlechtliche Liebe von ihrer vollkommen unbegründeten und dämlichen Tabuisierung zu befreien - und Bücher sollten da eine große Rolle spielen! Wie geht es einem, wenn man merkt, dass man das eigene Geschlecht attraktiver findet als das andere? Wie reagieren andere auf einen, wenn man in dieser Hinsicht gegen den Strom schwimmt? Ist Flirten eine heikle Sache, weil man sich ja nie so sicher sein kann, wie das Gegenüber gepolt ist? Bücher leisten hier "Aufklärungsarbeit": Es gibt Männer, die Männer lieben und Frauen, die Frauen lieben und das ist vollkommen okay - so what? In diesem Buch gibt es meiner Meinung nach jedoch keine solche Botschaft, sondern nur zwei dezent eigenartige Mädchen, die sich eigenartig (nicht unsichter, verwirrt, schüchtern: sondern schlichtweg eigenartig) verhalten und hoffentlich (jungen) LeserInnen, nicht vermitteln, dass jede Liebesbeziehung zwischen zwei Mädchen zwischenmenschlich so verkorkst und eigenartig ablaufen muss. Viele Geschichten stehen und fallen mit ihren Charakteren. Während die Idee das wacklige, aber vielleicht standhafte Gerüst dieser Geschichte bildet, bringen die beiden (als Sympathieträger vollkommen untauglichen) Protas die Story zum Fall.

Umsetzung: Auch wenn im Buch unzählige schöne Ideen (gut) versteckt waren - und das waren sie definitiv - hat mich ihre platte Umsetzung leider doch enttäuscht. In meinem Freundeskreis gibt es einige Leute, die ganz offen dazu stehen homosexuell zu sein: Natürlich fällt es nicht jedem gleich leicht oder schwer, sich selbst das einzugestehen oder anderen beizubringen. Und es ist nur allzu menschlich Angst zu haben, wenn man Neuland betritt. Was jedoch in dem Buch beschrieben wurde, war ... ich gestehe, ich habe keine Ahnung was das war.
Was ich mir erwartet hatte, war eine schöne Liebesgeschichte zwischen zwei Mädchen. Eine Erzählung in blumiger Sprache, die sich jedoch nicht scheut, Dinge beim Namen zu nennen.
Was mir meiner Meinung nach jedoch serviert wurde, war eine Geschichte, der über weite Strecken jeglicher Tiefgang fehlte, die jedoch durch lauwarmes Um-den-heißen-Brei-Reden von ihrer Oberflächlichkeit abzulenken versuchte. Dazu kam eine eigenartige Trägheit, die die Geschichte wie ein roter Faden durchzieht, eine Beklemmung, die man gegenüber den beiden Protagonistinnen entwickelt, die mir einerseits vollkommen seicht und fad erschienen, die jedoch das Talent dazu besitzen, die einfachsten Sachen zu verkomplizieren und Dialoge zu führen, die (zumindest hoffe ich das) im wahren Leben einfach nicht vorkommen. 

"Was schreibst du?" fragte ich.
"Ich schreibe auf, was das Meer sagt." Sie klang leidenschaftlich und energisch, aber auch ein bisschen abwesend. 
[Seite 168] Zitatrecht © CARLSEN

Hätten die Lieben ein bisschen weniger mit dem Meer kommuniziert und ein bisschen mehr miteinander geredet, anstatt sich Löcher in den Bauch zu schweigen, hätte die Geschichte vielleicht interessantere Formen annehmen können.
Ebenfalls ein wenig befremdet hat mich die Art, wie über Sex gesprochen wurde. Während man in Jugendbüchern, in denen sich eine romantische Beziehung zwischen Mädchen und Büblein anbahnt, so schöne Worte findet, um die Neugierde und die Furcht vorm ersten Mal und das (unbeschreibliche) Gefühl, wie es ist mit jemandem zu schlafen, zu beschreiben, wird einem hier plump, dieser Kloß mit Soße vor den Latz geknallt:

"Ich liebte ihren salzigen Geschmack. Sie hatte sich nach unserem Ausflug zum Strand nicht geduscht, und ich mochte ihre langen schwarzen Haare, die vom Meerwasser strähnig waren. In ihrer Poritze und Scheide war noch Sand; das Meer ließ sie vermutlich noch salziger schmecken. Ich liebte alles an ihr. Ich liebte sie. Wir schliefen nicht viel. Ich wollte ihr alles sagen, alles mit ihr tun, aber letzlich redeten wir wenig und erfuhren auch so ziemlich viel übereinander." 
[Seite 49] Zitatrecht © CARLSEN

Haut mich das um? Nein.
Als ich diesen Satz gelesen habe, muss ich dreingeblickt haben wie ein begossener Pudel: "Im Ernst jetzt?", dachte ich. Die beiden kennen gerade mal ihre Namen (und die ihrer Teekannen), landen verdammt schnell in der Kiste (obwohl Anna auf dem Klappentext als schüchternes Mädchen beschrieben wird  - na holla! Schüchtern war einmal. Denn wenn es ans Sandkörner zählen geht, kennt Anna anscheinend keinen Halt mehr) und auch nach 221 Seiten kennen sich die beiden eigentlich nicht. Über wichtige Dinge sprechen die beiden sowieso nie - außer die Namensgebung einer alten Teekanne zählt zu den Wichtigkeiten des Lebens, die ich bisher ausgeblendet habe. Der einzige interessante Charakter - Michael, von dem man zu Anfang auch das Gefühl vermittelt bekommt, er würde eine tragende Rolle in dem ganzen Geschehen spielen, und der somit lange Zeit meine Hoffnung aufrecht erhielt, dass die Geschichte doch noch ein wenig spannend werde würde, wurde auch gleich auf den äußersten Rand der Rahmenhandlung verbannt. Zu früh gefreut, liebe Nana.

Soundtrack: Mein persönlicher Soundtrack zu diesem Buch ist das Lied "Goodbye" von Avril Lavigne.

Gestaltung: Die Aufmachung könnte eigentlich nicht gelungener sein. Die Teekanne, die ja Anlass für die tiefgründigsten Gespräche und Gedanken zwischen den zweien bildet, nimmt die Mitte des Covers ein. Die 3D-Optik wirkt wirklich toll! Generell sind die eher mädchenhaften Rosé- und Cremefarben wunderbar stimmig kombiniert und auch der Titel ist meiner Meinung nach hervorragend gewählt und auf dem Schutzumschlag auch perfekt in Szene gesetzt.

Fazit: Eine Geschichte mit großem Potential, die jedoch kläglich bei dem Versuch scheitert, spleenige, kecke Protas vorstellen zu wollen. Man schlägt dieses Buch zu, weiß nicht so recht, was man da eigentlich gerade gelesen hat und ich für meinen Teil bin auch nicht versucht, es nochmals aufzuschlagen. Es heißt immer, jeder und alles hat einen bestimmten Zweck hier auf Erden. Die Bestimmung dieses Buches ist es wohl, einfach nur schön in meinem Regal auszusehen. Und das tut es.
2 von 5 Sternen

Ich bedanke mich vielmals bei Buchbotschafter und dem Carlsen Verlag für die freundliche und großzügige Unterstützung!



Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Verlag: Carlsen
ISBN-10: 3551582718
ISBN-13: 978-3551582713
Originaltitel: About a girl
Mehr Infos und eine Leseprobe gibt's HIER!