Sie wären längst gegangen oder hätten ihn sogar von der Bühne gepfiffen, wenn da nicht etwas Verlockendes wäre, dem man so schwer widerstehen kann: ein Blick in die Hölle von jemand anderem.
Aus: Kommt ein Pferd in die Bar von David Grossman, Seite 108. Textrechte: Carl Hanser Verlag.
Klappentext: Dovele, der Comedian, kommt auf die Bühne, als hätte ihm jemand einen Tritt verpasst. Er rappelt sich auf, reckt den Hintern in die Luft und beginnt seinen gewaltigen Redeschwall, bei dem das Publikum bald nicht mehr weiß, ob es lachen oder weinen soll. Für eine gute Pointe gibt Dovele alles, und heute ist sein Geburtstag. Ein Jugendfreund, inzwischen pensionierter Richter, den er zu seinem Auftritt eingeladen hat, hört ihm zu. Und zufällig sitzt in der ersten Reihe auch eine sehr kleine Frau, die früher Doveles Nachbarin war. Sie erinnert sich, dass er als Kind oft auf den Händen lief. Er tat das, um seine Mutter zum Lachen zu bringen und damit ihm keiner ins Gesicht schlug. Im Laufe des Abends erzählt der Comedian zwischen vielen Witzen eine tragische Geschichte aus seiner Jugend. Es geht um Freundschaft, Verrat und eine sehr persönliche Abrechnung auf dem Weg zu einer Beerdigung. Dem Kleinstadtpublikum ist das Lachen vergangen. Den Leser hält David Grossman mit diesem grandiosen Roman bis zur letzten Zeile gefangen. Textrechte: Carl Hanser Verlag.
Rezension: Kommt ein Pferd in die Bar ist die Geschichte eines Komikers und dennoch kein Roman, der einen zum Lachen verführen würde. Er bereitet einem Bauchschmerzen und ein beklemmendes Gefühl in der Brust, schnürt einem die Luft ab, macht einen ratlos und betroffen. Es ist ein Roman, der lange nachklingt, der einen sprachlich fordert, inhaltlich überrumpelt, ein Roman, der Lesen außerhalb der Komfortzone verlangt.
Eigentlich kenne ich tausend Tricks, wie man nicht da ist, ich bin Weltmeister im Nicht-Da-Sein.
Aus: Kommt ein Pferd in die Bar von David Grossman, Seite 226. Textrechte: Carl Hanser Verlag.
Es fällt einem schwer, Dov Grinstein, den Protagonisten der Erzählung zu mögen. Im gleichen Maße, wie dieser es genießt ein Publikum zu haben, scheint er sich auf der Bühne unwohl zu fühlen. Und dieses Unwohlsein überträgt sich Zeile um Zeile auf den Leser.
Was er seinem Publikum vorträgt mutet wie ein unzensierter, wirrer jiddisch-deutscher stream of consciousness an, er verläuft sich dutzende Male in seiner eigenen Geschichte, stolpert über alte, klaffende Wunden und wühlt vor seinen Zuschauern in diesen herum.
Sogar mitten im Streit flogen diese Funken zwischen unseren Augen hin und her, das Fünkchen Ich in ihr, das Fünkchen Sie in mir.
Aus: Kommt ein Pferd in die Bar von David Grossman, Seite 56. Textrechte: Carl Hanser Verlag.
Der Leser verfolgt das Geschehen aus der Perspektive eines pensionierten Richters, der sich im Publikum befindet und den in seinen Jugendtagen eine enge Freundschaft mit Dovele verband und stellt sich dabei die Frage: Wie schnell vergessen wir Freunde über unser eigenes Glück?
Immer mehr Zuseher verlassen den Saal, erbost über Dovele und seine scheinbare Unfähigkeit, sie zum Lachen zu bringen. Diejenigen, die bleiben, erleben, wie Dovele zwischen und mit den inkohärent und verworren wirkenden Teilen seines hitzigen Vortrags die Geschichte einer tragischen Kindheit – seiner Kindheit – spinnt. Er erzählt die Geschichte eines Jungen, der auf Händen geht, weil die Welt ohnehin verkehrt ist. Eine Geschichte vom Gefallen-Wollen, vom Sich-Verraten-Fühlen, vom Geruch alter Lumpen und vom Abrechnen mit sich selbst.
Kennt ihr diese einsamen Seelen, die sonst keinen Menschen zum Reden haben? Die holen die Sätze zur Not mit der Zange, irgendwie kriegen sie die schon aus einem raus. Du bist ihre letzte Chance; danach reden mit denen nur noch die Ampeln für Blinde.
Aus: Kommt ein Pferd in die Bar von David Grossman, Seite 171. Textrechte: Carl Hanser Verlag.
Persönliches Fazit: Kommt ein Pferd in die Bar hat in etwa so viel mit Komik zu tun, wie eine Fliege, der man die Flügel ausgerupft hat. Immer wieder wird man Zeuge, wie Dovele, diese arme erbarmungswürdige Figur sich abstrampelt, ein Publikum zu unterhalten und dabei an dem Wunsch, das eigene Lachen wiederzufinden, beinahe erstickt.
Kommt ein Pferd in die Bar ist ein Roman mit durch und durch erdrückender, beinahe surrealer Atmosphäre; harter Tobak, den zu lesen sich lohnt.
Autor: David Grossman
Titel: Kommt ein Pferd in die Bar
Originaltitel: Sus Echad Nichnas Le-Bar
Originaltitel: Sus Echad Nichnas Le-Bar
Einband: gebundene Ausgabe
Verlag: Carl Hanser Verlag
Seitenanzahl: 256
ISBN: 978-3-446250505