Seiten

[Rezension] One von Sarah Crossan

Sonntag, 25. Juni 2017

One by Sarah Crossan Review www.nanawhatelse.at


No choice ...
I get that.
If I wasn't here
I'd be on a very slow train
to nowhere.
aus: One von Sarah Crossan, Seite 63. Textrecht: Bloomsbury.

Klappentext: Here we are. And we are living. Isn't that amazing? How we manage to be at all.

Grace and Tippi don't like being stared and sneered at, but they're used to it. They're conjoined twins –  united in blood and bone. What they want is to be looked at in turn, like they truly are two people. They want real friends. And what about love? But a heart-wrenching decision lies ahead for Tippi and Grace. One that could change their lives more than they ever asked for ...


Rezension: Ich selbst habe eine Zwillingsschwester und weiß, wie es ist, wenn man von klein an alles miteinander teilt: Pausenbrote, Geburtstage und Spielsachen, Erfolge und Niederlagen, Träume und Ängste, Bekannte und Freunde. Als Zwilling hat man das große Glück, dass einem der beste Freund gleich mit in die Wiege gelegt wird. Das habe ich immer so gesehen. Doch was, wenn man sogar den eigenen Körper mit dem anderen teilen muss? Wenn das, was man tut, sich unmittelbar auf den anderen auswirkt? Wenn Privatsphäre immer einen zweiten einschließt und das Ich immer hinter dem Wir zurücktreten muss?

Dieser außergewöhnliche Roman handelt mit sehr sanften, aber eindrücklichen Worten unzählige moralische Dilemmas ab, wirft unlösbare Fragen auf und erzählt von so viel Lebensfreude und Hoffnungslosigkeit zugleich, dass sich das Leserherz nicht entscheiden kann, ob es bleischwer zu Boden sinken oder federleicht davonsegeln soll.


It really isn't so bad.
It's how it's always been.
It's all we know.
And actually,
we're usually
quite happy
together.
aus: One von Sarah Crossan, Seite 12-13. Textrecht: Bloomsbury.

Mit Grace und Tippi wird uns ein unglaublich sympathisches Gespann vorgestellt. Zwei junge Frauen, die so gar nicht mit ihrem Schicksal zu hadern scheinen, die dankbar sind, zu leben und einander zu haben, deren Leben vielleicht nicht perfekt ist, aber dennoch glücklich – auch wenn dieses Glück getrübt wird, durch das Verhalten und die Vorurteile ihrer Mitmenschen, die sie betrachten, als wären sie Insekten unter einem Mikroskop, die gaffen und indiskrete Fragen stellen, die mit ihrer Meinung, dass ein solches Leben doch nicht lebenswert sein könne, nicht hinter dem Berg halten.

Nicht die Behinderung selbst schränkt Grace und Tippi ein, vielmehr wird offensichtlich, dass es die Menschen um sie herum sind, die ihnen das Leben und Glücklichsein erschweren. Als die beiden schließlich mit 16 nach jahrelangem Privatunterricht zum ersten Mal eine öffentliche Schule besuchen, wird ihr bisheriges Leben ganz schön auf den Kopf gestellt. Neue Freunde, alte Vorurteile und Herzklopfen treffen aufeinander. Doch Graces Schwarm ist leider nicht der einzige Grund, warum ihr Herz ins Stolpern gerät.


Here is my story.
The story of how it is to be Two.
The story of how it is to be One.
The story of Us.
And it is an epitaph.
An epitaph to love.
aus: One von Sarah Crossan, Seite 429-430. Textrecht: Bloomsbury

Sarah Crossan porträtiert auf außergewöhnlich einfühlsame Art und Weise, die sowohl optisch als auch stilistisch als sprachkünstlerisch zu bezeichnen ist, das Schicksal zweier junger Frauen, die sowohl körperlich als auch seelisch aneinandergeschweißt sind.

One by Sarah Crossan. Review www.nanawhatelse.at


One ist ein poetischer Roman, ein berührendes Gedanken-Mosaik aus der Sicht von Grace erzählt, die uns Einblicke in das Leben gewährt, das sie mit ihrer Schwester Tippi teilt. Sie erzählt von den vielen demütigenden Arztbesuchen, dem unverhohlenen Glotzen ihrer Mitmenschen, dem Umstand, dass sie selbst eigentlich keine Kaffeetrinkerin ist, während Tippi ihren gemeinsamen Körper mit Koffein vollpumpen muss, um morgens in die Gänge zu kommen, und dem Mantra, das sie sich immer und immer wieder dann im Geiste aufsagt, wenn sie ihren neuen Schulkameraden Jon sieht: Ich darf mich nicht verlieben.

Neben der irren Gefühlsachterbahnfahrt, der die beiden ihr Leben lang ausgesetzt sind, bilden auch die gesundheitlichen Probleme und die finanziellen und familiären Schwierigkeiten, die die medizinische Behandlung der beiden Mädchen nach sich zieht, wichtige Handlungsstränge.

Die Geschichte von Grace und Tippi ließ mich ergriffen, bis ins Innerste erschüttert, todtraurig und unglaublich dankbar zurück. 100%iger, emotionaler Breakdown.


"The pain of losing one child
wouldn't vanish just because you have another,"
Mom says.
"You can't make replacements."
aus: One von Sarah Crossan, Seite 322. Textrecht: Bloomsbury.

Die Sprache ist leicht verständlich und sollte meiner Meinung für Leser mit durchschnittlich hohem Englisch-Niveau keine allzu großen Schwierigkeiten bereithalten. Für alle, die dennoch lieber zur übersetzten Ausgabe greifen, gibt es gute Nachrichten: die deutsche Ausgabe mit dem Titel Eins ist erst kürzlich im Mixtvision Verlag erschienen.


Persönliches Fazit: Sarah Crossan schlägt sehr leise, poetische, bittersüße Töne an, die Emotionen, die sie damit im Leser weckt, sind dafür umso wilder. One ist eine tragische, herzzerbrechende und zugleich wunderschöne Geschichte über das Zusammengehören, das Getrenntseinwollen, das Lieben und das sprachlose Vermissen, für das es einfach keine Worte gibt.






Autor: Sarah Crossan
Titel: One
Einband: Taschenbuch
Verlag: Bloomsbury
Seitenanzahl: 434
ISBN: 978-1-408-827215