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[Rezension] Fast ganz die Deine von Marcelle Sauvageot

Freitag, 11. März 2016

Foto: www.nanawhatelse.at, Bildrechte (Cover): dtv

Von einem Freund muß ich viel verlangen können, ohne je fürchten zu müssen, ihm zu mißfallen.
Und eine solche Freundschaft geben Sie mir schon lange nicht mehr.
aus: Fast ganz die Deine von Marcelle Sauvageot, Seite 58. Textrechte: dtv


Ein klein wenig zum Inhalt: Die Ich-Erzählerin erhält einen Brief, der ihr eine Wahrheit offenbart, die ihre Welt auf den Kopf stellt: „Ich heirate … Unsere Freundschaft bleibt.“ Gekennzeichnet von einer schweren Lungenkrankheit verbringt die noch sehr junge Erzählerin ihre Tage in einem Sanatorium – in Gedanken ist sie aber stets in Paris, bei Bébé, dem Mann, dem ihr Herz gehört. Als sie seine Zeilen liest, zerplatzen ihre Träume, gleichzeitig jedoch wirft sie einen kritischen Blick auf die Liebe und den Mann, die sie einst für so kostbar und einzigartig gehalten hatte.



Die Vergangenheit will sterben.
aus: Fast ganz die Deine von Marcelle Sauvageot, Seite 61. Textrechte: dtv


Rezension: „Fast ganz die Deine“ ist ein ganz außergewöhnlicher Briefroman. Zum einen, ist es nämlich kein Roman im eigentlichen Sinne, sondern der nie verschickte Brief einer liebenden, gekränkten, aber ungewöhnlich starken Frau. Der gediegene, fast poetische Stil, in dem Marcelle Sauvageot ihre Gedanken zu Papier bringt, wirkt keinesfalls sperrig, auch wenn dieser Brief, dieser wunderschöne Roman, diese gnadenlos-liebevolle Abrechnung mit der Vergangenheit bereits 1930 verfasst wurde. Der Kummer der Verlassenen steckt in jeder Silbe und dennoch ist dieser Roman vor allem ein Mut machendes Plädoyer dafür, sich selbst treu zu bleiben und aus Schicksalsschlägen gestärkt hervorzugehen. Die pointiert formulierten Gedanken der Schreibenden sind vor allem eines: schonungslos ehrlich.


Deine Schwächen gehören mir. Ich habe Dich unermüdlich beobachtet und sie nach und nach entdeckt. Ich leide darunter, daß Du sie hast, aber ich würde nicht wollen, daß Du Dich änderst.
aus: Fast ganz die Deine von Marcelle Sauvageot, Seite 25. Textrechte: dtv


Persönliches Fazit: Zwar findet dieser Roman in einem sehr schmalen Büchlein Platz – die Erkenntnisse, die man aus der Lektüre ziehen kann, wiegen jedoch schwer. Marcelle Sauvageots einziger Roman ist ganz dem Fühlen gewidmet: dem sich-allein-Fühlen, dem sich-gekränkt-Fühlen, dem sich-stark-Fühlen. Prädikat: wertvoll!



Fast ganz die Deine von Marcelle Sauvageot | Originaltitel: Laissez-moi | Übersetzung: Claudia Kalscheuer |
dtv, 2006 | Taschenbuch, 112 Seiten | ISBN 978-3-423-13510-8