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[Rezension] Arthur oder Wie ich lernte, den T-Bird zu fahren von Sarah N. Harvey

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Arthur schwenkt seinen Stuhl, um mich anzusehen, und ich meine, er zwinkert mir zu, bevor er sich wieder zum Bildschirm hindreht - aber vielleicht ist das nur meine Einbildung. Dabei könnte ich ausrasten, wenn mir jemand zuzwinkert. Schon immer war das so. Mom sagt, als ich klein war, hatte ich Albträume wegen eines Wesens, das ich Zwinkermann nannte.  
[Seite 41] Zitatrecht: © DTV

Foto: Nana - What else?
© DTV

Das sagt der Klappentext [Auszug]: Royce ist siebzehn und hat neuerdings eine Aufgabe: Gegen Cash soll er sich um seinen uralten Großvater Arthur kümmern, der alle um sich herum in den Wahnsinn treibt. Keine leichte Herausforderung, meint auch seine Mutter Nina. Aber aus der reinen Geschäftsbeziehung wird bald mehr, und Royce und der exzentrische Arthur kommen einander Schritt für Schritt näher.

Idee: Royce zieht mit seiner Mutter Nina um, da diese näher bei ihrem Vater wohnen möchte, um sich besser um ihn kümern zu können. Und das gerade, als alles so gut für Royce lief: tolle Freunde, gute Noten, ein wundervolles Mädchen... Kaum in der neuen Heimat angekommen, erkrankt Royce auch gleich am Drüsenfieber. Da die Schule dadurch für das restliche Semester flach fällt, und er seine Zeit viel zu oft in trauter Zweisamkeit mit  TV, PC oder seinem heißgeliebten Bett verbringt, während seiner Mom, ihre zwei Jobs, ihr demenzkranker Vater und ihr arbeitsscheuer Sohn über den Kopf wachsen, beschließt diese kurzerhand, dass Royce' Ferialjob darin bestehen soll, auf seinen uralten Großvater aufzupassen, der regelmäßig seine Pflegerinnen in die Flucht schlägt.
Ein Siebzehnjähriger, der sich selbst lakonisch nennt und ein sarkastischer, alter Knabe, der bereits beinahe ein Jahrhundert auf dem Buckel hat, raufen sich also zusammen. Was notgedrungen als vorübergehende "Notlösung" beginnt, entwickelt sich zu etwas ganz Besonderem.

"Mach das Fenster zu, Junge!", ruft er. "Willst du mich umbringen?"
Zum Glück kann er mein Nicken nicht sehen.
[Seite 42] Zitatrecht: © DTV

Umsetzung: Vor Sarkasmus triefende Dialoge, Wortwitz in beinahe jeder Silbe, trockener Humor, der die Grenze zum Morbiden oft schneidet, todernste Themen in buntes Gewand gepackt - das ist es, was "Arthur oder Wie ich lernte den T-Bird zu fahren" ausmacht. Für mich begann dieses Buch als (sprach-)gewaltige Überraschung! Die ersten beiden Drittel des Buches sprachen genau jene Sprache, die mich dazu bringt, während der Lektüre fröhlich vor mich hinzuglucksen. Und das lag vor allem an den beiden Protagonisten Arthur und Royce. Die Absurdität und gleichzeitige Vertrautheit in ihrem Alltag sorgte für Spannung, Betretenheit und Lachflashs. Vor allem der in manchem Momenten von der Demenz geplagte, schwer senile Arthur, der all seine Facetten - vom furchtbaren Grantler bis hin zum betagten, smarten Gentleman, zeigt, wuchs mir sehr schnell ans Herz. Arthur zeigt, auf seine ganz eigene, liebenswürdig böse Art und Weise, wie sehr ein Mensch unser ganzes Leben auf den Kopf stellen, mit Vorurteilen aufräumen, und uns dazu bringen kann, unsere Prioritäten und Gefühle neu zu ordnen und sortieren.
Der einzige Kritikpunkt, der auch der Grund dafür ist, dass das Lesevergnügen für mich nicht ganz und gar vollkommen war - war das Ende des Romans. In "Arthur" werden Themen wie Altersdemenz, Sterbehilfe, Tod, Krankenpflege, verlorene Lieben, gestohlene Zeit und verpasste Chancen auf so wunderbar humorvolle, wenn auch teils trockene Art und Weise angesprochen - und obwohl teilweise morbider Humor im Spiel ist, wirkt dieser vollkommen natürlich, passend und tatsächlich schreiend komisch. Gerade gegen Ende hin kippte für mich der Witz jedoch manchmal ein wenig ins Geschmacklose, was vermutlich vor allem an Royce' lag. Ich mochte den Jungen gerne - hatte mir aber a là "Ziemlich beste Freunde" eine sichtbarere Reifung von Royce' Charakter gewünscht. Dass diese mehr oder weniger ausblieb, tat mir um meiner und um Arthurs Willen in der Seele weh. Von jener vorsichtigen Freundschaft, die man zu Beginn des Buches aufblühen sehen und mitverfolgen darf und von der man sich als Leser so viel (mehr) verspricht, bleibt am Ende ein etwas fahler Nachgeschmack. Alles in allem konnte mich "Arthur oder Wie ich lernte den T-Bird zu fahren" jedoch definitiv nicht nur einmal positiv überraschen!

"Ich muss duschen", verkündet er. Diesen Augenblick habe ich gefürchtet. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich tun soll oder wie viel Hilfe er dabei braucht - Mutters Instruktionen waren verschwommen. "Überlass dich einfach seiner Führung", hat sie gesagt. Als ob es ums Tangotanzen ginge.
[Seite 45] Zitatrecht: © DTV

Gestaltung:  Im Hintergrund keckes Türkis, mittig wirft sich Arthurs Herzstück in Pose: sein schwarzer T-Bird. Ein frecher Blickfang, der den Witz des Buches bereits vermuten lässt, seinen Tiefgang jedoch nicht.

Soundtrack: Arthur ist eine kleine Berühmtheit - in seinen jungen Jahren wurde er als Cello-Virtuose gefeiert.  Doch auch als alter Herr beweist er Geschmack und Zeitgeist: Arthur teilt meine Begeisterung für Cello Rock von "Apocalyptica" :-) Mein persönlicher Soundtrack zum Buch waren somit Songs wie "I don't care", "Not strong enough" und Apocalypiticas unvergleichlichen Metallica-Arrangements, wie beispielsweise "The Unforgiven", "Sad but true" und "Nothing else matters".



Dieses Buch in fünf Worten: sprachgewaltig, morbid, humorvoll, frech, charakterstark ;)

Fazit: Dieses Buch ist zugleich lockerleichte Kost und harter Tobak. Ein Roman, der die Lachmuskeln aktiviert und gleichzeitig nichts für schwache Nerven ist. Saukomisch und todernst.

Von mir gibt es
4 von 5 Sternen
für eine besondere literarische Überraschung des Jahres 2013 :-)

Mein herzlicher Dank geht an den dtv Verlag und lovelybooks.de für die freundliche und großzügige Unterstützung und eine wundervolle Leserunde!
Broschiert: 240 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 342365001X
ISBN-13: 978-3423650014
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren