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[Rezension] Freak City von Kathrin Schrocke

Dienstag, 6. August 2013

"Man machte schreckliche Dinge, obwohl man liebte. 
Oder vielleicht machte man sie gerade deshalb."  

[Seite 198] Zitatrecht © CARLSEN


Foto: Nana - What else? © (Cover) CARLSEN
Ein klein wenig zum Inhalt: Mikkas Welt steht Kopf. Seine erste Freundin und große Liebe Sandra hat ihn verlassen. Schluss gemacht. Im Schwimmbad. Einfach so. Und während er nichts tun kann, als bei allem was er tut und nicht tut, an sie zu denken, scheint sie total happy zu sein und ihr Leben völlig normal weiter zu leben. Während er alles daran setzt Sandra zurückzuerobern, stolpert im Lea vor die Füße. Die wilde, starke, wunderschöne Lea. Die fest davon überzeugt ist, dass Sternschnuppen klingen, wie wenn Glas zerbricht. Die Lippenlesen besser beherrscht als James Bond. Die stocktaub ist. Er lässt sich von ihr in die Welt der Gehörlosen entführen und Lea zeigt ihm, dass diese keinesfalls leise oder ruhig ist. Und er erkennt, dass auch wenn der andere nichts hören kann, die wichtigen Botschaften dennoch ankommen.

Idee: Bisher durfte ich noch nie ein vergleichbares Buch in Händen halten. Mikka plagt sich mit den Dingen rum, die im Leben von Fünfzehnjährigen groß geschrieben werden: Freunde, Eltern (die so gar nicht kapieren, was in den Köpfen der jungen Leute vor sich geht), Liebe, Liebeskummer, Sex, Sex und Sex. Doch dann lernt er plötzlich Lea kennen und mit ihr eine Welt, die seiner in all diesen Dingen vollkommen gleicht und sich dennoch von grund auf von ihr unterscheidet.

"Ich wollte da rein und meine Exfreundin entführen. Ich wollte sie mir über die Schulter werfen wie ein Neandertaler, sie in die S-bahn schleifen und mit zu mir nach Hause nehmen. Ich wollte sie in mein Zimmer mit dem Graffiti an der Wand sperren und erst wieder rauslassen, wenn die Ewigkeit vorbei war, die sie mir versprochen hatte." 
[Seite 31] Zitatrecht © CARLSEN

Umsetzung: Wie können Gehörlose Türglocken wahrnehmen? Wie gefährlich ist es als tauber Mensch die Straße zu überqueren? Wie erklärt man einem kleinen tauben Mädchen, dass Tiere nicht sprechen können, auch wenn sie die ganze Zeit ihre Mäuler auf- und zumachen? Werden wir Normalos von den Gehörlosen in Gebärdensprache verarscht? Mit unglaublichem Feingefühl, grandiosem Humor aber auch dem nötigen Ernst gibt uns die Autorin Kathrin Schrocke in ihrem Roman Antworten auf diese Fragen. Auch wenn ich mir an mancher Stelle vielleicht etwas mehr Tiefgang gewünscht hätte, muss ich sagen, dass der absolut unvergleichliche Schreibstil beinahe alles wieder wett gemacht hat: trockener Humor, Protagonisten, die in ihrer Hilflosigkeit unerwartet schlagfertig sind, blumige Gedanken von Teenagern, die das Gefühl haben, dass endlich alles rund läuft, und die während sie ihren Kopf in die Wolken stecken schon gegen die nächste Kante krachen. Wunderbare Unterhaltung, die ein ernstes Thema auftischt, und obwohl keine leichte Kost, doch kein Völlegefühl hinterlässt - im Gegenteil: man will einfach mehr! 

Gestaltung: Wie einen das Buch lehrt, sind Wörter eine relative Sache. Genauso ist es mit den Bezeichnungen, mit denen man die Aufmachung dieses grandiosen Buches beschreiben könnte. Viel exakter als Wörter und Zeichen sind doch Gefühle: und das Gefühl dieses kecke, wunderschöne, schlichte und dennoch richtig verspielte Buch in Händen zu halten ist ein verdammt gutes!

Soundtrack: Der Soundtrack zu "Freak City" wird vom Buch selbst geliefert. Es KANN kein anderer Song sein, als "Nur ein Wort" von © Wir sind Helden.



Fazit: Es gibt ein paar - wirklich nur ein paar - dieser ganz speziellen Bücher. Bei denen man den ersten Satz liest und weiß: Das Buch ist genial. "Freak City" ist eines jener Bücher. Taucht ab und erkundet Freak City - vielleicht verliert ihr euer Herz dort ebenso wie ich. Eine wundervolle Geschichte!

4,5 von 5 Sternen!

Taschenbuch: 240 Seiten
Verlag: Carlsen
ISBN-10: 3551310939
ISBN-13: 978-3551310934
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 12 - 15 Jahre