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[Rezension] "Bevor ich sterbe" von Jenny Downham

Freitag, 31. August 2012

"Es ist gut, Tessa, du kannst gehen. Wir lieben dich. Du kannst jetzt gehen."
"Warum sagst du das?"
"Vielleicht braucht sie eine Erlaubnis zu sterben, Cal."
"Das will ich aber nicht. Meine Erlaubnis hat sie nicht."


Das sagt der Klappentext: Tessa,16, hat Leukämie. Und es gibt keine Hoffnung mehr, denn nach vier Jahren hat sie den Kampf gegen den Krebs endgültig verloren. Doch bevor sie stirbt, will sie leben. Sie schreibt eine Liste an die Wand über ihrem Bett, mit den Dingen, die sie machen will, bevor sie stirbt. Mithilfe ihrer Freundin erlebt sie viel, geht tanzen, macht sich schön - doch als Adam auftaucht, wird es noch schwieriger. Darf man sich verlieben, wenn man stirbt?

Idee: Die Idee von der Löffelliste (Liste an Dingen, die man erleben möchte, bevor man den "Löffel abgibt") ist nicht neu - doch noch immer birgt sie ungeheures (und vor allem ein sehr emotionales) Potenzial. Das in dem Fall von "Bevor ich sterbe" jedoch nicht ansatzweise ausgeschöpft wurde. Tessa stellt eine Liste mit Dingen auf, die sie noch erleben will, bevor sie viel zu jung ihrer Krebserkrankung erliegt. Ihre Freundin Zoey hilft ihr dabei. Doch je weiter Tessa die Verwirklichung ihrer Träume vorantreibt, je mehr Punkte sie auf ihrer Löffelliste abgehaken kann, desto mehr begreift sie, dass es die kleinen Dinge und Erinnerungen sind, die das Leben ausmachen.

Umsetzung: Mit Tessa wurde ich zu keiner Zeit wirklich warm. Zwar ist mir klar, dass Tessas Leben ein einziger normaler Ausnahmezustand ist, dennoch habe ich erwartet, einem jungen an Krebs erkrankten Mädchen gegenüber Mitleid zu empfinden, jedoch: Nada. Lange Strecken des Romans war sie mir vollkommen unsympathisch. Tessa besteht nur aus Krankheit und jedes ihrer unzähligen Fehlverhalten schiebt sie auf den Krebs. Nicht SIE ist verantwortlich für den Mist, den sie anstellt, sondern die Leukämie. Wie viele Menschen sie dabei verletzt, ist ihr vollkommen gleichgültig. Ihr Charakter wirkt zu keiner Zeit authentisch, ebenso wenig wie ihre Löffelliste. Ja, vielleicht wünscht sich ein 16jähriges Mädchen, das dem Tod ins Auge blickt, Sex zu erleben, ob der Wunsch jedoch so groß ist, dass man sich als junge, kranke Frau zu einem wildfremden Mann legt, kann und will ich nicht beurteilen. Wo der Reiz liegt, in den letzten Tagen auf Erden noch Ladendiebstahl zu begehen, Drogen zu konsumieren oder in verseuchtem Wasser zu waten, kann ich allerdings nur bedingt nachvollziehen, weshalb Tessas Löffelliste für mich nur eines ist: Der Versuch der Autorin eine originelle Geschichte auf die Beine zu stellen, die meiner Meinung nach jedoch in luftleerem Raum schwebt. Trotz der Einzig- oder Eigenartigkeit von Tessas angeblichen Herzenswünschen fehlten dem Roman jegliche Höhen und Tiefen, die künstliche Atmosphäre konnte mich nur mäßig überzeugen. Durch die ersten 250 der knapp über 300 Seiten musste ich mich wirklich ein wenig schleppen. Die Autorin verharrt stellenweise bei so vielen unwichtigen und leider auch uninteressanten Details, dass die Handlung zeitweise vollkommen stagniert. Erst die letzten Seiten konnten mich berühren und auch literarisch gab es zum Ende hin eine positive Wende.

Charaktere: Tessa definiert sich lediglich über ihre Krankheit, verhält sich oft wie unzurechnungsfähig und geisteskrank - was ja nur nachvollziehbar wäre, angesichts der Angst, die sie empfinden muss. Doch ich konnte den Charakter von Tessa zu keiner Zeit wirklich ernst nehmen. Ihre Familie lernt man nur oberflächlich kennen, einzig für ihren Dad konnte ich ein Gefühl entwickeln. Zoey, Tessas beste Freundin, sollte vermutlich lebensfroh, chaotisch, und ein wenig verrückt wirken. Was rauskam, ist ein Charakter, der sich verantwortungslos und unreif präsentiert, stellenweise ziemlich niveaulos auftritt und ebenso aufgesetzt und gekünstelt wirkt wie die Protagonisten des Romans.
Auch Adam, den Nachbarsjungen, in den Tessa sich verliebt, lernt man nur skizzenhaft kennen. Er wirkt wie ein Nachdenker, ein sich aufopfernder Junge, der seinen Vater früh verloren hat und sich rührend um seine Mutter kümmert. Doch auch sein Charakter wirkt nicht authentisch, ebenso wie die ganze Beziehung zwischen ihm und Tessa.

Gestaltung: Das Taschenbuch ist ansprechend, wenn auch relativ unauffällig gestaltet und lediglich in den Farben cremigweiß, rot und schwarz gehalten. Ein Mädchen hüpft in ihren kindlich wirkenden, mit Erdbeeren bedruckten Boxershorts auf ihrem Bett, und man kann sich beinahe vorstellen, wie es dem Leben entgegenjubelt. Die Botschaft des Covers konnte ich im Roman jedoch kaum wiederfinden.

Soundtrack: Meinen persönlichen Soundtrack zu diesem Buch liefert Ingrid Michaelson mit dem wunderschönen Lied "Keep Breathing".


Fazit: Die New York Times schrieb über "Bevor ich sterbe": "Jenny Downhams 'Bevor ich sterbe' kommt mit einer Originalität und Verve daher, die den Leser noch auf den letzten Seiten mit einem atemberaubenden Gefühl von Lebendigkeit entlassen." Ich konnte leider weder die Originalität, noch den Verve in oder zwischen den Zeilen entdecken. Die Idee finde ich sehr gut, da mich die Umsetzung trotz des furchtbar emotionalen Themas des Romans jedoch nicht anrühren konnte, muss ich sie für mich jedoch als gescheitert erklären.

2 von 5 Sternen
Taschenbuch, 320 Seiten
978-3442471065