Es gibt sie.
Diese ganz besonderen Bücher, die vollkommen unerwartet ein leises Klick in uns auslösen und unsere Sicht auf gewisse Dinge grundlegend ändern, die in uns etwas zum Brodeln bringen und lange in uns nachhallen. Vor einigen Wochen habe ich meine Freunde mit der Bitte überfallen, sie mögen mir von ihren allerliebsten Büchern erzählen. Und das haben sie getan. Und da geteilte Freude doppelte Freude ist, darf ich auch euch die Herzensbücher meiner Herzensmenschen verraten.
Meine Freundin Nina durfte ich aufgrund unserer gemeinsamen Liebe zur Literatur kennenlernen. Sie ist wohl einer der bibliophilsten, literaturvernarrtesten und kritischsten Menschen überhaupt, weshalb ich ihre Buchempfehlungen immer besonders schätze und richtig neugierig war, welche life changer in Buchformat sie mir nennen würde.
Lesen ist ein Hobby, sagen die einen. Die
anderen verbinden damit ein Eintauchen in neue Welten, eine Leidenschaft,
vielleicht manchmal ein Abenteuer. Wieder andere finden in den von ihnen
gelesenen Büchern eine Offenbarung, ein Wiedererkennen. Bücher sind so
vielseitig wie ihre Leser.
Nana hat mich gefragt, ob ich vielleicht Lust
hätte, einen Gastbeitrag zum Thema „Welche Bücher haben dich persönlich
beeinflusst?“ zu verfassen. Voller Elan ging ich an dieses Projekt, um gleich
mal wieder am Boden zu landen, samt einer Handvoll Bücher, da die Auswahl zu
groß war. Zu unpersönlich. Oder einfach nur nicht mit Bedacht gewählt. Denn es
gibt die Lieblingsbücher und jene Bücher, die wirklich etwas auslösen können.
Nun, wenn es nach dem Lieblingsbuch ginge,
wäre es wohl Harry Potter and the Prisoner of Azkaban – persönliche
Beeinflussung: definitiv zaubern lernen
und Sirius Black heiraten – dies fällt ganz offensichtlich unter die Kategorie
„wahnwitzige Offenbarung“. Aber nun mal Butter bei den Fischen, hier kommen nun
endlich jene zwei Bücher (ich hatte vorher acht in der Hand, 8 Wälzer, kein
Wunder, dass ich dann am Hosenboden saß) die mich persönlich beeinflusst haben,
sei es in meinem Denken oder Handeln, privat oder beruflich.
When they asked me what I wanted to be I said I didn’t know.
"Oh, sure you know," the photographer said.
"She wants," said Jay Cee wittily, "to be everything.”
Aus: The Bell Jar von Sylvia Plath
Ja, vielleicht ist die Nennung von Sylvia Plaths „Die Glasglocke“ ein Klischee, von der Hand lässt es sich dennoch nicht weisen, dass Plath es wahrhaftig großartig schafft, die beginnende Depression der Protagonistin Esther Greenwood darzustellen. Der Leser begleitet Esther durch ihre Sinnkrise, die sich schleichend und bedrückend zu einer schweren Depression entwickelt. Teilweise sarkastisch, aber nie lächerlich erzählt uns Plath von Esthers Leben, ihren einstigen Träumen und der Realität, als sie nach einem gescheiterten Selbstmordversuch in einer Nervenheilanstalt Elektroschocktherapien über sich ergehen lassen muss.
Plath war eine geniale Lyrikerin und mit diesem Roman beweist sie, dass sie auch eine phänomenale Geschichtenerzählerin war. Sie selbst litt unter Depressionen und nahm sich schlussendlich das Leben.
Sylvia Plaths Buch entspricht, meiner Ansicht
nach, der Realität. Wir leben unter einer Glasglocke, wer nicht in die Norm
passt, bleibt außen vor. Und Depressionen sind nach wie vor ein Tabuthema,
Schwäche wird nicht akzeptiert oder toleriert. Ich fühlte mich danach sehr
melancholisch und fragte mich selbst, wohin geht mein Weg? Auch ich hatte und
habe Existenzängste. Ich stehe dazu. Es macht mich vielleicht in manchen Augen
schwach, ich für mich sehe es als Ansporn stärker zu werden und nicht
aufzugeben. Solltet ihr feinfühlig sein oder gar unter Depressionen leiden und
dieses Buch lesen, redet danach bitte mit jemandem darüber.
Autorin: Sylvia Plath | Übersetzung: Reinhard Kaiser
Titel: Die Glasglocke | Originaltitel: The Bell Jar
Verlag: Suhrkamp | ISBN: 978-3-518-456767
„Die sonntägliche Menschenmenge brandete ihr entgegen wie das Meer. Sie holte tief Luft, warf sich in die wiegende Flut und passte ihre Schritte an. Ein zufälliger Beobachter hätte vielleicht noch ihre vertraute aufrechte Haltung unter dem alten Regenmantel ihres Mannes erkannt. Doch dann wurde ihre Gestalt langsam kleiner, bis sie schließlich in der Ferne verschwamm, ein Teil der Menge, auf dem Weg in die Freiheit.“Aus: Die Hochzeit der Chani Kaufman von Eve Harris, Seite 453. Textrechte: Diogenes
Eve
Harris Buch kam eher zufällig in meinen Besitz, ich suchte nach Romanen über
die jüdische Kultur. Wir lernen Chani kennen, eine junge, hübsche und
eigensinnige Dame, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, da dies wahrlich keine
guten Voraussetzungen sind. Warum? Der jüdisch-orthodoxe Heiratsmarkt ist
knallhart, Angepasstheit und Gehorsam die perfekten Tugenden. Erzählt wird aber
nicht nur Chanis Geschichte, die ihren Bräutigam Baruch Levy, ein zukünftiger Rabbi, erst dreimal zu Gesicht
bekam, sondern parallel lernen wir Rebbetzin Rebecca Zilberman kennen, deren
Geschichte viel früher beginnt. Auch sie lebt das streng geregelte Leben an der
Seite eines Rabbis. Dies war aber nicht immer so und mit dem Alter wächst der
Wunsch nach dem alten Glück und Selbstbestimmtheit.
Ich liebe dieses Buch schlichtweg. Es vereint
so vieles – strenge Konventionen, eine für mich fremde Kultur, Humor,
Melancholie und Wehmut. Aber am allermeisten doch eines – eine tiefsinnige
Geschichte über das Sein und die Selbstbestimmung des Lebens. Nicht jeder hat
die Möglichkeit, über sein oder ihr Leben selbst zu bestimmen. Eve Harris
erzählt mit einer Leichtigkeit ein sehr
ernstes Thema, setzt an den richtigen Stellen Humor gekonnt ein und vermittelt
eine fremde Kultur anschaulich.
Auch dieses Buch hat mich stark beeinflusst
und mir wieder bewusst ins Gewissen gerufen, dass ich selbstbestimmend handeln
darf UND kann.
Beide Bücher zeigen für mich Wege auf, die
beschritten werden können, dies aber kein Muss ist. Vieles zu wollen ist nichts
schlechtes, genauso wenig wie eine gewisse Einfachheit der Dinge in Ordnung
ist. Ich persönlich ziehe das Fazit, dass man alles machen kann, aber nicht
muss. Dass manchmal der Weg steinig ist oder verschwommen, die Verzweiflung
allgegenwärtig wartet und dennoch ich selbst darüber bestimme, wohin ich gehen
will.
Und das dies alles zum Leben gehört, Angst wie
Freude, Verzweiflung und Mut, Glück und Verlust. Bücher wie „Die Glasglocke“
oder „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ begleiten uns ein Stück, bewegen
vielleicht etwas in unserem Inneren und geben uns Denkanstöße.
Und auch aus Melancholie kann etwas sehr
schönes entstehen, wie man an diesen beiden Büchern sieht. Klug, feinfühlig und
sprachgewandt hinterlassen sie Spuren beim Leser, die noch lange nachhallen.
Autorin: Eve Harris | Übersetzung: Kathrin Bielfeldt
Titel: Die Hochzeit der Chani Kaufman | Originaltitel: The Marrying of Chani Kaufman
Verlag: Diogenes | ISBN: 978-3-257-300208
Danke, liebe Nina, für deine ansteckende Begeisterung für Geschichten, die Herzen und Gedanken Purzelbäume schlagen lassen, deine unzensierte Ehrlichkeit, dein Faible für Literatur, die Denkmuster sprengt und aus allen Rahmen fällt.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um nicht um Werbung und die Vorstellung der Bücher entspricht keiner Kaufempfehlung.
In diesem Beitrag werden subjektive Leseeindrücke vermittelt.