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Die Herzensbücher meiner Herzensmenschen - #1

Sonntag, 15. Juli 2018

Es gibt sie.

Diese ganz besonderen Bücher, die vollkommen unerwartet ein leises Klick in uns auslösen und unsere Sicht auf gewisse Dinge grundlegend ändern, die in uns etwas zum Brodeln bringen und lange in uns nachhallen. Vor einigen Wochen habe ich meine Freunde mit der Bitte überfallen, sie mögen mir von ihren allerliebsten Büchern erzählen. Und das haben sie getan. Und da geteilte Freude doppelte Freude ist, darf ich auch euch die Herzensbücher meiner Herzensmenschen verraten.


Die Herzensbücher meiner Herzensmenschen #1 www.nanawhatelse.at


Meine Freundin Nina durfte ich aufgrund unserer gemeinsamen Liebe zur Literatur kennenlernen. Sie ist wohl einer der bibliophilsten, literaturvernarrtesten und kritischsten Menschen überhaupt, weshalb ich ihre Buchempfehlungen immer besonders schätze und richtig neugierig war, welche life changer in Buchformat sie mir nennen würde. 



Lesen ist ein Hobby, sagen die einen. Die anderen verbinden damit ein Eintauchen in neue Welten, eine Leidenschaft, vielleicht manchmal ein Abenteuer. Wieder andere finden in den von ihnen gelesenen Büchern eine Offenbarung, ein Wiedererkennen. Bücher sind so vielseitig wie ihre Leser.

Nana hat mich gefragt, ob ich vielleicht Lust hätte, einen Gastbeitrag zum Thema „Welche Bücher haben dich persönlich beeinflusst?“ zu verfassen. Voller Elan ging ich an dieses Projekt, um gleich mal wieder am Boden zu landen, samt einer Handvoll Bücher, da die Auswahl zu groß war. Zu unpersönlich. Oder einfach nur nicht mit Bedacht gewählt. Denn es gibt die Lieblingsbücher und jene Bücher, die wirklich etwas auslösen können.

Nun, wenn es nach dem Lieblingsbuch ginge, wäre es wohl Harry Potter and the Prisoner of Azkaban – persönliche Beeinflussung:  definitiv zaubern lernen und Sirius Black heiraten – dies fällt ganz offensichtlich unter die Kategorie „wahnwitzige Offenbarung“. Aber nun mal Butter bei den Fischen, hier kommen nun endlich jene zwei Bücher (ich hatte vorher acht in der Hand, 8 Wälzer, kein Wunder, dass ich dann am Hosenboden saß) die mich persönlich beeinflusst haben, sei es in meinem Denken oder Handeln, privat oder beruflich.


When they asked me what I wanted to be I said I didn’t know.
"Oh, sure you know," the photographer said.
"She wants," said Jay Cee wittily, "to be everything.”
Aus: The Bell Jar von Sylvia Plath

Ja, vielleicht ist die Nennung von Sylvia Plaths „Die Glasglocke“ ein Klischee, von der Hand lässt es sich dennoch nicht weisen, dass Plath es wahrhaftig großartig schafft, die beginnende Depression der Protagonistin Esther Greenwood darzustellen. Der Leser begleitet Esther durch ihre Sinnkrise, die sich schleichend und bedrückend zu einer schweren Depression entwickelt. Teilweise sarkastisch, aber nie lächerlich erzählt uns Plath von Esthers Leben, ihren einstigen Träumen und der Realität, als sie nach einem gescheiterten Selbstmordversuch in einer Nervenheilanstalt Elektroschocktherapien über sich ergehen lassen muss. 

Plath war eine geniale Lyrikerin und mit diesem Roman beweist sie, dass sie auch eine phänomenale Geschichtenerzählerin war. Sie selbst litt unter Depressionen und nahm sich schlussendlich das Leben.

Sylvia Plaths Buch entspricht, meiner Ansicht nach, der Realität. Wir leben unter einer Glasglocke, wer nicht in die Norm passt, bleibt außen vor. Und Depressionen sind nach wie vor ein Tabuthema, Schwäche wird nicht akzeptiert oder toleriert. Ich fühlte mich danach sehr melancholisch und fragte mich selbst, wohin geht mein Weg? Auch ich hatte und habe Existenzängste. Ich stehe dazu. Es macht mich vielleicht in manchen Augen schwach, ich für mich sehe es als Ansporn stärker zu werden und nicht aufzugeben. Solltet ihr feinfühlig sein oder gar unter Depressionen leiden und dieses Buch lesen, redet danach bitte mit jemandem darüber.


Autorin: Sylvia Plath Übersetzung: Reinhard Kaiser
Titel: Die Glasglocke Originaltitel: The Bell Jar
Verlag: Suhrkamp ISBN: 978-3-518-456767






„Die sonntägliche Menschenmenge brandete ihr entgegen wie das Meer. Sie holte tief Luft, warf sich in die wiegende Flut und passte ihre Schritte an. Ein zufälliger Beobachter hätte vielleicht noch ihre vertraute aufrechte Haltung unter dem alten Regenmantel ihres Mannes erkannt. Doch dann wurde ihre Gestalt langsam kleiner, bis sie schließlich in der Ferne verschwamm, ein Teil der Menge, auf dem Weg in die Freiheit.“
Aus: Die Hochzeit der Chani Kaufman von Eve Harris, Seite 453. Textrechte: Diogenes

Eve Harris Buch kam eher zufällig in meinen Besitz, ich suchte nach Romanen über die jüdische Kultur. Wir lernen Chani kennen, eine junge, hübsche und eigensinnige Dame, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, da dies wahrlich keine guten Voraussetzungen sind. Warum? Der jüdisch-orthodoxe Heiratsmarkt ist knallhart, Angepasstheit und Gehorsam die perfekten Tugenden. Erzählt wird aber nicht nur Chanis Geschichte, die ihren Bräutigam Baruch Levy, ein  zukünftiger Rabbi, erst dreimal zu Gesicht bekam, sondern parallel lernen wir Rebbetzin Rebecca Zilberman kennen, deren Geschichte viel früher beginnt. Auch sie lebt das streng geregelte Leben an der Seite eines Rabbis. Dies war aber nicht immer so und mit dem Alter wächst der Wunsch nach dem alten Glück und Selbstbestimmtheit.

Ich liebe dieses Buch schlichtweg. Es vereint so vieles – strenge Konventionen, eine für mich fremde Kultur, Humor, Melancholie und Wehmut. Aber am allermeisten doch eines – eine tiefsinnige Geschichte über das Sein und die Selbstbestimmung des Lebens. Nicht jeder hat die Möglichkeit, über sein oder ihr Leben selbst zu bestimmen. Eve Harris erzählt mit einer Leichtigkeit  ein sehr ernstes Thema, setzt an den richtigen Stellen Humor gekonnt ein und vermittelt eine fremde Kultur anschaulich.

Auch dieses Buch hat mich stark beeinflusst und mir wieder bewusst ins Gewissen gerufen, dass ich selbstbestimmend handeln darf UND kann.

Beide Bücher zeigen für mich Wege auf, die beschritten werden können, dies aber kein Muss ist. Vieles zu wollen ist nichts schlechtes, genauso wenig wie eine gewisse Einfachheit der Dinge in Ordnung ist. Ich persönlich ziehe das Fazit, dass man alles machen kann, aber nicht muss. Dass manchmal der Weg steinig ist oder verschwommen, die Verzweiflung allgegenwärtig wartet und dennoch ich selbst darüber bestimme, wohin ich gehen will.

Und das dies alles zum Leben gehört, Angst wie Freude, Verzweiflung und Mut, Glück und Verlust. Bücher wie „Die Glasglocke“ oder „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ begleiten uns ein Stück, bewegen vielleicht etwas in unserem Inneren und geben uns Denkanstöße.

Und auch aus Melancholie kann etwas sehr schönes entstehen, wie man an diesen beiden Büchern sieht. Klug, feinfühlig und sprachgewandt hinterlassen sie Spuren beim Leser, die noch lange nachhallen.


Autorin: Eve Harris Übersetzung: Kathrin Bielfeldt
Titel: Die Hochzeit der Chani Kaufman Originaltitel: The Marrying of Chani Kaufman 
Verlag: Diogenes ISBN: 978-3-257-300208



Danke, liebe Nina, für deine ansteckende Begeisterung für Geschichten, die Herzen und Gedanken Purzelbäume schlagen lassen, deine unzensierte Ehrlichkeit, dein Faible für Literatur, die Denkmuster sprengt und aus allen Rahmen fällt.



Die Herzensbücher meiner Herzensmenschen #1 Nina www.nanawhatelse.at


Bei diesem Beitrag handelt es sich um nicht um Werbung und die Vorstellung der Bücher entspricht keiner Kaufempfehlung.
In diesem Beitrag werden subjektive Leseeindrücke vermittelt.