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[Rezension] Nur eine Liste von Siobhan Vivian

Montag, 31. Dezember 2012

Es ist unmöglich, mit gebrochenem Herzen einzuschlafen.  

Nachdem bereits das letzte Buch aus dem Hause Ravensburger, das ich gelesen habe (die Rezension zu „Verräter der Magie“ von Rebecca Wild könnt ihr HIER lesen), für mich ein absolutes Lesehighlight war, wird nun eine neue Lobeshymne angestimmt: denn folgende Neuerscheinung aus dem Ravensburger Verlag wusste mich vollends zu überzeugen.
"Nur eine Liste" von Siobhan Vivian

Ein klein wenig zum Inhalt: Jedes Jahr vor dem Homecoming-Ball stellt die Liste das Leben von acht Mädchen auf der Mount Washington High auf den Kopf. Sie klebt an jedem Spind. An jeder Tür. Man kann ihr nicht entkommen. Die Liste versetzt die gesamte Schule in Aufruhr, doch für acht Schülerinnen bedeutet sie ihr vermeintliches Schicksal, besiegelt ihre Zukunft, bringt das höchste Glück oder zerstört das Seelenheil für immer. Wer verfasst die Liste, welche die Mädchen in zwei Gruppen teilt? Wer entscheidet an der Mount Washington High was Schönheit wirklich bedeutet?

Idee: Man lernt acht Mädchen kennen, die alle auf ihre Art und Weise wunderschön und zugleich furchtbar hässlich sind. Mädchen, die sich selbst nicht kennen, Mädchen, die zulassen, dass andere über sie bestimmen und urteilen, Mädchen, die nie furchtloser sind, als in ihrer Angst. Einzigartige junge Frauen, die die Liste gnadenlos als „hässlich“ verurteilt oder für „schön“ erklärt. Doch schon bald wird klar, dass Schönheit nichts ist, was auf den ersten Blick ersichtlich ist. Dass auch die hübschesten Menschen hässliche Geheimnisse mit sich herumschleppen und es von wahrer Schönheit zeugt, zu sich selbst zu stehen, Werte zu vertreten und für andere da zu sein.

Siobhan Vivian hat die Auseinandersetzung mit einem so heiklen Thema nicht gescheut, vielmehr wird einem als Leser provokant die Frage entgegen geschrien, wann man denn selbst das letzte Mal „hässlich“ war oder sich zuletzt „schön“ gefühlt hat, wann man das letzte Mal über andere vielleicht vorschnell geurteilt hat und sie in Schubladen gesteckt hat, die die Aufkleber „hässlich“ oder „schön“ trugen – wovon auch immer dieses Urteil abhängig war…

Philosophisch, poetisch, mit viel Witz und noch mehr Ernst wirkt diese Geschichte wie ein Eimer kaltes Wasser: erfrischend und aufweckend. Wer nun das Bild eines begossenen (aber glücklichen) Pudels im Kopf hat, kommt dem Gefühl, das dieses Leseabenteuer auslöst, verdammt nahe.

Auf dem Bild trugen beide Mädchen leichte helle Kleider, sie standen mit geöffnetem Mund nebeneinander auf der niedrigen Bühne im Keller der Kirche. Auch nach dem Ende ihrer Freundschaft blieb das Foto auf dem Kaminsims im Wohnzimmer stehen. Jennifer wollte, dass es dort stand, es war eine Erinnerung daran, dass sie einmal hübsch gewesen war. Damals, als Aussehen noch nicht zählte.

Umsetzung: Man bekommt die Liste präsentiert, der Einstieg in die Story erfolgt unmittelbar und so taucht man abwechselnd in das Leben der acht Protagonistinnen ein. Erlebt aus ihrer Sicht die Reaktionen auf die Verkündigungen der Liste, erlebt Scham, Freude, Selbsthass, unerschütterliches Selbstvertrauen, Enttäuschung, Zweifel, Eifersucht, Glück, Schadenfreude. Man erlebt welche Auswirkungen es auf das eigene Leben haben kann, wenn einem von außen ein Stempel aufgedrückt wird, den man, wie falsch seine Aussage auch sein mag, einfach nicht mehr loswird. Wie dieser Stempel die Meinungen, das Verhalten und die Gefühle anderer zu beeinflussen vermag und wie sehr diese das Bild eines Menschen von sich selbst formen können. Schockierend. Brutal. Ehrlich. Die Geschichte der Liste, die viel mehr ist als „Nur eine Liste“, lässt einen, obwohl sich Happy Ends am Horizont abzeichnen, mit unglaublich schwerem Herzen zurück und entlässt Leser und Leserin mit dem Vorsatz nach wahrer Schönheit zu suchen und sich nicht mit dem, was der erste Blick auf jemanden oder etwas offenbart, zufriedenzugeben. Sondern ein klein wenig tiefer zu blicken.

Charaktere: Danielle DeMarco. Abby Warner. Candace Kincaid. Lauren Finn. Sarah Singer. Bridget Honeycutt. Jennifer Briggis, Margo Gable. Vier hässliche Mädchen. Vier schöne Mädchen. Acht Opfer. Alle acht Mädchen lernt man gut kennen, ihre Sicht auf die Dinge und die Welt, ihr Gefühlschaos und ihren Körper. Alle acht Mädchen falsifizieren und bestätigen die Liste zugleich, denn sie alle entpuppen sich als traumhaft schön und grauenhaft hässlich. Als makelhaft und gerade deshalb perfekt. Acht Mädchen, acht Geschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch untrennbar miteinander verbunden sind. Acht Geschichten, acht Schicksale, die einen atemlos machen, aufschrecken und nicht zuletzt daran erinnern, welche Eigenschaften es sind, die Menschen in unseren Augen wirklich schön machen.

Es war nicht das Ende von irgendwas, sondern der Anfang von allem. 

Gestaltung: Auch die Gestaltung des Hardcovers weiß mich zu begeistern! Knallig pink und nachtschwarz präsentiert es sich in den Farben, die den Unterschied zwischen der rosaroten Welt stupider Beauty-Girlies, dem schönen Schein und dem tatsächlichen Sein verkörpern. Ein Mädchen – schön?, hässlich? – starrt einem entgegen. Starrt es auf die Liste? Sucht es seinen Namen darauf? Oder mustert es den Leser und überlegt, welchen Stempel es ihm aufdrücken soll? Ich möchte nicht sagen, dass es sich hier um ein schönes Buch handelt (spätestens nach dieser Lektüre wird der aufmerksame Leser es sich künftig drei Mal überlegen, bevor er etwas schön oder hässlich nennt), definitiv ist die Gestaltung jedoch wie der Inhalt: ANDERS. Und das ist auch gut so!

Soundtrack: „Ugly“ von Bon Jovi ist wohl jenes Lied, welches mir beim Lesen von „Nur eine Liste“ am häufigsten durch den Kopf spukte. Denn Schönheit ist tatsächlich nicht zuletzt eine Frage der Perspektive.

If you're ugly, I'm ugly too
In your eyes the sky's a different blue
If you could see yourself like others do
You'd wish you were as beautiful as you

And I wish I was a camera sometimes
So, I could take your picture with my mind
Put it in a frame for you to see
How beautiful you really are to me

Ugly, Ugly
All of us just feel like that somedays
Ain't no rainbow in the sky
When you feel U.G.L.Y.
And that's ugly, yeah, yeah, yeah

Fazit: Provokativ, berührend, unheimlich und ehrlich kommt dieser Roman daher, nennt die Dinge beim Namen, über die man sonst nur hinter vorgehaltenen Händen tuscheln hört. Auf brillante, wenn auch gnadenlose Weise führt es vor Augen, wie wenig Schönheit doch mit dem Aussehen zu tun hat und hält in wunderschöne Sprache verpackte Lebensweisheit parat. Dieser Roman sucht seinesgleichen! Meine absolute Empfehlung!

5 von 5 Sternen

Ich bedanke mich von Herzen beim Ravensburger Verlag für die großzügige Unterstützung und eine aufregende Leserunde auf lovelybooks.de!