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Das Literaturmuseum Wien sagt Hallo!

Donnerstag, 10. September 2015

Vor einigen Tagen habe ich euch von meinem bevorstehenden Kurztrip nach Wien samt Besuch des neu eröffneten Literaturmuseums berichtet. Nun liegt dieser Tagesausflug bereits hinter mir, und ich möchte euch ein bisserl davon erzählen.

Foto: Nana - What else?

Das Literaturmuseum Wien liegt zentral gelegen in der Wiener Innenstadt, genauer gesagt im Grillparzerhaus in der Johannesgasse 6. 

Das Grillparzerhaus beherbergte früher das k.u.k Hofarchiv und war Arbeitsplatz von Franz Grillparzer – welcher nicht nur als Archivdirektor tätig war, sondern bis heute als einer der bedeutendsten österreichischen Dramatiker des 19. Jahrhunderts gilt. Doppelt geschichtsträchtig also. So weit, so (sehr) gut. Man betritt das Grillparzerhaus und wird von bibliophilen Zitaten begrüßt, die die Fenster und Wände des Eingangsbereichs zieren. (Traumhaft!) Dort wird man von äußerst bemühten MitarbeiterInnen mit einem Tablett und einem feschen Orientierungsplan ausgestattet, und schon kann die literarische Reise losgehen. 

Das Ticket ist übrigens wirklich erschwinglich (und macht sich sehr gut als schöne Erinnerung im Tagebuch): Der Eintrittspreis für Erwachsene beträgt € 7,00. Studierende kommen in den Genuss einer Vergünstigung und dürfen für nur € 4,50 in die Welt der österreichischen Literatur eintauchen.
Im zweiten Stock beginnt die Zeitreise im ausgehenden 18. Jahrhundert. 

Eintrittskarte @ Literaturmuseum Wien Foto: Nana -What else?

Der Beginn der Ausstellung ist der Zeit des Enlightenment gewidmet: In grünen Lettern leuchtet dem Besucher der Wahlspruch der Aufklärung „Sapere Aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ (Immanuel Kant) entgegen. Schriftstellerische Reaktionen auf Napoleons Herrschaft, die strengen Zensurbestimmungen unter Maria Theresia und die literarische Figur des Hanswurst werden vorgestellt, man darf die Originaleinladung zur Premierenaufführung der Zauberflöte bestaunen und im Journal der Freymaurer lesen. An allen Stationen gibt es die Möglichkeit, über das Tablet interessante Zusatzinformationen zu bekommen, wie Textausschnitte und Bilder, aber auch Musikstücke und Anekdoten zu Ausstellungsstücken.

Man betritt den nächsten Raum, der der Zeit der Romantik, des Biedermeier und des österreichischen Klassizismus gewidmet ist. Wie bereits erwähnt, war der Namensgeber des Gebäudes, nicht nur Direktor des kaiserlichen Archivs, sondern auch ein passionierter Dramatiker und Dichter. Tatsächlich darf man den Arbeitsplatz Grillparzers besuchen und erfährt von seiner Unlust, Beamtentätigkeiten zu verrichten, wo er doch nur eines wollte: schreiben. 

Literaturmuseum Wien Foto: Nana - What else?

Das Revolutionsjahr 1848, der erste Graffitikünstler Österreichs, das Dorf als berühmtes Motiv der österreichischen Literatur des 19. Jahrhunderts und Vertreter des bürgerlichen Realismus (Marie von Ebner-Eschenbach, Peter Rosegger, Ludwig Anzengruber, u.v.m.) werden vorgestellt und man nähert sich Schritt für Schritt dem nächsten Ausstellungsraum, und damit der Moderne, während man der Drehorgel-Version des Revolutionsmarschs von Johann Strauss Sohn lauscht. 

Zugegebenermaßen fühle ich mich in der Wiener Moderne sehr zu Hause. Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Rainer Maria Rilke, Peter Altenberg … all diesen großen Namen und noch vielen mehr begegnet man im Literaturmuseum Wien. Zu meiner großen Freude wurde Karl Kraus (Ich bin glühende Fackel-Leserin!) und den letzten Tagen der Menschheit gebührend viel Platz in der Ausstellung gewidmet. Der Erste Weltkrieg stellt einen radikalen Einschnitt in den österreichischen Kultur- und Literaturbetrieb dar. Sein Ausbruch führte zu einem explosionsartigen Anstieg der Textproduktion, zu Karrieren literarischer Größen im Kriegspressequartier – ganz im Dienste der geistigen Mobilmachung – und zu Elend. Zu unglaublichem Elend. All dies dokumentiert das Literaturmuseum und der Besucher schwankt zwischen Entsetzen und Faszination, zwischen Ekel und Ergriffenheit. Mit diesen Eindrücken und Franz Kafkas Lebenswerk als letzter Station endet die Ausstellung im zweiten Stock.

Literaturmuseum Wien Foto: Nana - What else?

Während der zweite Stock klassisch museal wirkt, wird im ersten Stock mit Filmvorführungen und Musik, sowie einem Kino, das (so war es bei meinem Besuch) vor allem künstlerische Kurzfilme mit experimenteller Lyrik zeigt, und einer Abreiß-Gedichte-Wand aufgewartet. Der erste Stock des Grillparzerhauses widmet sich dem 20. und 21. Jahrhundert und ist entsprechend der Zeit, die seine Ausstellungsräume portraitieren, multimedial modern eingerichtet.

Im ersten Stock wird dem Habsburger-Mythos auf den Grund gegangen, die sogenannte Schlossliteratur wird vorgestellt. Die Auswirkungen der Arbeiterbewegung, der Emanzipation, des Bürgerkriegs und Antifaschismus auf das Kulturleben Österreichs werden nachgezeichnet. Dabei wird auch die wichtige Rolle anderer – jedoch mit der Literatur verbandelter – Institutionen und Medien wie Film, Kabarett und Theater beleuchtet. Das Anschlussjahr 1938 stellt eine weitere Zäsur im kulturelle Leben Österreichs, Europas und der Welt dar. Die Ausstellungsstücke zeigen nun zweierlei: zum einen Literaten, die NS-Karrieren verfolgten und Literaten, die vor dem nationalsozialistischen Regime flüchteten. Geistige Mobilmachung durch Literatur und Exilliteratur stehen sich als krasse Gegensätze gegenüber. Bedrohung und Flucht, Hass und Widerstand, Exil und Heimat: all dies sind Themen, die durch die dargestellten Lebensläufe sichtbar werden. 

Anschließend widmet sich die Ausstellung der literarischen Aufarbeitung des NS-Terrors. Dem Niederschreiben des Unsagbaren – und der Suche nach geeigneten Mitteln dies zu tun. Ingeborg Bachmanns „Todesarten-Projekt“, Thomas Bernhards Romane, Hans Leberts „Wolfshaut“, Heimito von Doderers „Die Strudlhofstiege“ sowie der Arbeit der Gruppe 47 werden eigene kleine Stationen gewidmet. Auch der mehrere Jahrzehnte andauernde Kalte Krieg und die schriftstellerischen Reaktionen auf die gefühlte Inzweiteilung der Welt werden thematisiert. 

Wie arbeiten Schriftsteller? Wo arbeiten Dichter? Wann arbeiten Autoren? Spontane Einfälle? Genaues Planen? Wie wird aus einer Idee, einem Gedanken ein Roman? Diesen Fragen wird im letzten Ausstellungsraum auf den Grund gegangen.

Eine Wand mit Abreiß-Gedichten bildet den schönen Schluss dieser Reise durch die österreichische Literaturgeschichte.

@ Literaturmuseum Wien Foto: Nana - What else

Literatur berührt alle Lebenswelten des Menschen. Es ist dem neu eröffneten Literaturmuseum Wien gelungen, aufzuzeigen, dass Literatur nicht nur ein Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse ist, sondern diese auch mitformt. Der Versuch, zentrale Epochen, Phänomene und Leistungen der österreichischen Kultur- und Literaturgeschichte vom 18. Jahrhundert bis heute auf anregende und spannende Weise zu präsentieren, ist dem Literaturmuseum Wien absolut geglückt.


Nana empfiehlt:
  • Besonders schön wird der Besuch des Literaturmuseums natürlich, wenn ihr es gemeinsam mit ebenso literaturaffinen, bibliophilen Buchmenschen besucht.
  • Genug Zeit einplanen!
  • Stift und Papier mitnehmen (um Bücher zu notieren, die man nach dem Besuch unbedingt lesen möchte)
  • Kamera nicht vergessen (toller Weise darf man im Literaturmuseum Wien auch Fotos knipsen!)
  • Nettes Rahmenprogramm planen: Nirgendwo kann man so abwechslungsreich und gut schmausen wie in Wien. Ein netter Kabarettabend (zB: Gunkls Programm „Ein Stapel Anmerkungen im Kabarett Niedermair – sehr empfehlenswert!) oder der Besuch eines Musicals (ab sofort wird beispielsweise „Mozart“ im Raimund Theater gespielt) können einen tollen Tag perfekt ausklingen lassen. 
  • Wien bietet tausendundeine Möglichkeit für schöne Kurztrips – NUTZEN! :o)

Ich hoffe, ich konnte euch das Literaturmuseum Wien ein wenig schmackhaft machen, denn mir hat der spontane Museumsnachmittag sehr gefallen.

PS: Im dritten Stock finden Wechselausstellungen statt.