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[Rezension] Im freien Fall oder wie ich mich in eine Pappfigur verliebte von Jessica Park

Sonntag, 3. Mai 2015


Foto: Cate Grübler
© Loewe

Ein klein wenig zum Inhalt: Manchmal ist es einfacher, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Manchmal lässt sich das Leben leichter ertragen, wenn man sich selbst belügt. Ja, manchmal tut es weh, wenn einem die (grausame) Realität präsentiert wird, während man selbst alles versucht, um die Illusion von Glück aufrecht zu erhalten. Und manchmal erkennt man, dass es gut ist, die Illusion aufzugeben, um dem echten Glück die Tür zu öffnen.

Als Julie, wenige Tage bevor ihr Studium beginnt, nach Boston kommt und feststellt, dass die Wohnung, die sie gemietet hatte, gar nicht existiert, landet sie durch Zufall bei einer alten Studienfreundin ihrer Mutter und deren Familie. Dort fühlt sie sich richtig wohl, obwohl (oder gerade weil) jedes einzelne Familienmitglied ein klein wenig spleenig ist. Der Vater ist ein sympathisch-nerdiger Meeresbiologe, die Mutter eine weltoffene Wissenschaftlerin. Matt, geht nur mit Shirts aus dem Haus, an denen vermutlich auch Sheldon Cooper Gefallen finden würde und die kleine Celeste schleppt immer eine lebensgroße Pappfigur ihres verreisten, großen Bruders Finn mit sich herum. Und obwohl sich der Alltag der Familie Watkins manchmal recht chaotisch gestaltet, fühlt sich Julie bei diesen verrückt-liebenswerten Menschen zu Hause. Und dann wäre da noch Finn, der freche Weltenbummler, den sie noch nie gesehen hat und dessen Zimmer sie bewohnt. Und der ihr langsam, aber sicher mit seinen witzigen Facebook-Nachrichten den Kopf verdreht… 

Zitatrecht © Loewe

Idee: Was auf den ersten Blick nach einem witzig-seichten Jugendroman aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine bittersüße Hommage an das Leben.

Umsetzung: Eine Geschichte, die mit so viel Tiefgang und Humor daherkommt, dass man sich dabei ertappt, wie man selig lächelnd dasitzt, während einem das Herz weh tut. Brillant erzählt und sehr durchdacht, präsentiert sich eine wunderschöne Geschichte mit einzigartigen Charakteren, deren Schicksal(sschläg)e zutiefst berühren. Julie wächst einem mit ihrer sympathischen, unkomplizierten Art bereits nach wenigen Seiten ans Herz und Matt wurde bald zu meinem persönlichen Literaturhelden (Peter Pan hat nach über zwei Jahrzehnten ernsthafte Konkurrenz bekommen!). Obwohl alle Charaktere authentisch wirkten, konnten mich gerade die beiden vollkommen überzeugen: Klug und schlagfertig, loyal, stets um tausend-Ecken-denkend – was wünscht man sich mehr von den Protagonisten eines Jugendromans?! 

Zitatrecht © Loewe

Gestaltung: Die verspielte und dennoch nicht überladene Aufmachung macht das Cover dieses Buches zu einem hübschen Hingucker. Die Detailverliebtheit und winzigen Anspielungen auf den Inhalt des Buches, die sich nur dem genauen Betrachter offenbaren, sorgen dafür, dass dieses wunderschöne, gebundene Buch auch zum optischen Highlight wird. Außen hui - innen hui. Das Pfui darf man hier getrost vergessen; schöner geht es kaum. 

Soundtrack: Mich begleiteten während des Lesens vor allem Lieder von Snow Patrol, Lifehouse und Ed Sheeran. Berührend, poetisch, einfach schön. 

Photograph von Ed Sheeran 

Kleines PS: Sehr schön fand ich auch, dass das eBook mit dem Buch „mitgeliefert“ wird. Auf einem Aufkleber im Inneren des Buches findet sich ein Code mit welchem man sich ganz unkompliziert das eBook zuschicken lassen kann. :o) 

Fazit: Jessica Park gelingt es auf grandiose Weise, eine tragische Familien- und eine turbulente Liebesgeschichte zu erzählen. Der Leser wird zum Seil-Akrobaten, der die perfekte Balance zwischen Tragik und Komik genießen darf. Ich vergebe 5 von 5 Gerrys für diese wunderbare Geschichte über das Loslassen und das Neu-Anfangen, aber vor allem über die Liebe und das (Weiter- und Über-) Leben. 

Meine uneingeschränkte Empfehlung für dieses Lesehighlight aus dem Loewe-Verlag!

Foto: Nana - What else?
© Loewe