Seiten

[Rezension] Letters of Note - Briefe, die die Welt bedeuten herausgegeben von Shaun Usher

Sonntag, 12. April 2015

Foto: Nana - What else?
© Heyne

125 Letters of Note 
Einige, dieser Briefe veränderten die Leben hunderter Menschen,
andere wiederum besiegelten das Schicksal ganzer Nationen.
Und manche dieser Briefe bedeuteten die Welt - wenn auch nur für einen Menschen. 

Zitatrecht © Heyne

Diese Briefsammlung enthält 125 Briefe, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Liebesbriefe, Abschiedsbriefe, Bittbriefe, Drohbriefe, Briefe mit brisantem politischen Inhalt - und doch ist ihnen eines gemein: sie alle sind literarische Schätze.

Jeder einzelne dieser Briefe erzählt eine ganze Geschichte, die sich dem Leser vor allem durch die hervorragend recherchierten Kommentare an den Seitenrändern erschließt. Vor den (meist vorhandenen) Fotografien der Originale, findet sich jeweils die deutsche Übersetzung der Schriftstücke, welche ich persönlich für äußerst gelungen halte, da in ihnen geglückt ist, nicht nur den Inhalt der Briefe in unsere Sprache zu überführen, sondern auch Ton und Stil perfekt ins Deutsche transferiert wurden. Nicht nur die Verfasser der Briefe waren teils prominente Persönlichkeiten - besonders gefreut habe ich mich, als ich entdeckte, dass auch die ÜbersetzerInnen dieser einzigartigen Dokumente keine unbeschriebenen Blätter sind: namhafte deutsche AutorInnen, wie Timur Vermes, Zoë Beck und Wulf Dorn machten es sich zur Aufgabe, die (größtenteils englischen - jedoch sind Briefe from all around the world vertreten!) Originale in deutsches Gewand zu kleiden. Jedes Wort sitzt wie maßgeschneidert.
 
Zitatrecht © Heyne

Und während man Brief für Brief langsam und bedächtig liest - es gibt Sätze, die liest man drei, vier, fünf Mal, nur um zu erkennen, dass man auch nach dem einhundertsten Mal nur erahnen kann, wie viel Bedeutung in ihnen steckt - und die gediegene, freche, poetische Sprache genießt, lernt und entdeckt man.

(Welt-)Geschichtliches, Sprachliches, Menschliches.
Zu Herzen gehendes, Haarsträubendes, Unglaubliches.


Man bestaunt dokumentierte menschliche Abgründe, wenn man das Ansuchen von John Lennons Mörder, Mark Chapman,  an einen Schätzmeister liest, er möge doch den Wert, seines - von seinem Opfer signierten - Albums Double Fantasy schätzen. Man kann nicht anders als zu schmunzeln, bei der Feststellung, dass Jack the Ripper eine grauenhafte Rechtschreibung hatte. Man ist schockiert, dass die White Star Line Falschmeldungen telegrafierte, während die Titanic sank. Man fühlt mit Darwin, der mit einer ungeheuren Ironie auf die Empörung seiner Mitmenschen reagierte. Man bewundert die Stärke in den Worten Gandhis, die er an Hitler richtete und Maria Stuarts unerbittlichen Glauben kurz vor ihrer Hinrichtung. Man gewinnt eine Freundin in Clementine Churchill, die ihrem Gatten mitteilt, dass auch und gerade (!) Führungspersönlichkeiten nicht auf gute Manieren und Anstand verzichten sollten und stellt fest, dass Mark Twain nicht nur ausgezeichnete Bücher, sondern auch herrlich freche Briefe schreiben konnte.

Zitatrecht © Heyne
Fazit: Eine wundervolle Sammlung einzigartiger, skurriler, ungewöhnlicher und inspirierender Briefe, die - so möchte ich behaupten - die ganze Gefühlspalette abdeckt. Zeilen, die hoffnungsvoll oder traurig stimmen, Sätze, die bestürzen und schockieren, Worte, die berühren und zu Herzen gehen.

Ich vergebe 5 von 5 Gerrys 
und nehme mir vor, wieder öfter mein gutes Briefpapier hervorzuholen...

PS. Die Sammlung nahm ihren Anfang auf der gleichnamigen Website von Shaun Usher:
Ein Besuch auf www.lettersofnote.com ist praktisch Pflicht für alle "Brieffreunde".